Damals mit 15... „Plötzlich war der Lehrer weg“
Tino Chrupalla (AfD) über eine Schulzeit in Zeiten des Umbruchs, seinen ersten Besuch in West-Berlin und die Entwicklung seiner Heimat in Sachsen seit der Wiedervereinigung.
Am 3. Oktober 1990 waren Sie 15 Jahre alt. Wie haben Sie die Wiedervereinigung Deutschlands erlebt?
Das war auf jeden Fall eine intensive und spannende Zeit. Meine Mutter hatte vier Geschwister, die in die Bundesrepublik Deutschland geflohen sind. Wir haben das also in der Familie alles sehr nah mitverfolgt.
Auch in der Schule war es eine bewegte Zeit. Manche Lehrer sind noch kurz bevor die Mauer geöffnet wurde in den Westen geflohen. Man kam morgens in die Schule und der Lehrer war plötzlich weg. Das waren eindrückliche Erlebnisse.
Können Sie sich noch erinnern, wann Sie dann das erste Mal im Westen waren?
Das war relativ kurz nach der Grenzöffnung. Ich bin mit meinen Eltern mit dem Zug nach West-Berlin gefahren, wir haben uns dort das sogenannte Begrüßungsgeld abgeholt. Das war natürlich schon bemerkenswert, so eine Großstadt mit all ihren Farben, eine ganz andere Welt. Alles war neu, ich habe alles aufgesogen und versucht, das zu realisieren.
Sie kommen aus Weißwasser in Sachsen. Was hat sich in Ihrer Heimat in den letzten 30 Jahren verändert?
Die ländlichen Räume sind nach der Wiedervereinigung stark ausgeblutet. Weißwasser ist dafür im Prinzip ein Paradebeispiel: Dort war die Glas-Industrie ansässig, die ist komplett weggebrochen. Es gab tausende Arbeitslose, die Menschen sind weggezogen, vor allem die junge Generation. Weißwasser hatte damals um die 38.000 Einwohner, heute sind es nur noch 16.000.
Trotzdem denke ich, dass es sich auch für die Menschen dort gelohnt hat. Häuser und Straßen wurden saniert, es begann eine Aufbruchsstimmung, die viele freudig erlebten.
Nach der Wiedervereinigung wurden Milliarden investiert, um Städte wie Dresden und Görlitz wiederaufzubauen. Sie sitzen im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunen – ist der „Aufbau Ost“ inzwischen weitgehend abgeschlossen?
Die baulichen Maßnahmen kann man schon im Großen und Ganzen als abgeschlossen betrachten. Ich denke, es ist eher so, dass die gesellschaftliche Teilung noch nicht ganz überwunden ist. Da sehe ich leider sogar eher rückläufige Tendenzen. Die Lebensverhältnisse in Ost und West sind gerade im ländlichen Raum noch sehr unterschiedlich. Leuchtturm-Projekte wie Dresden oder Leipzig kann man nicht vergleichen mit kleineren Städten wie Görlitz.
Was haben wir noch vor uns? Und was ist Ihnen dabei wichtig?
Als Jugendlicher habe ich einige Reden des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl miterlebt. Er hat gesagt: Die Wiedervereinigung wird mindestens 20 Jahre dauern. Das war natürlich für uns als junge Leute damals eine utopische Zeitspanne, schwer vorstellbar. Heute würde ich sagen, dass diese Einschätzung absolut richtig war – oder fast noch ein bisschen kurzgefasst.
Wir haben immer noch unterschiedliche Lohnverhältnisse in Ost und West. Das hängt natürlich auch mit unserer Lage im europäischen Kontext zusammen. Durch die Nähe etwa zu Polen sind die Gehälter im Osten niedriger, weil sie sich einfach auch denen der Nachbarländer anpassen. Das sind die Themen, die die Menschen bewegen und für die sie Antworten von der Politik fordern.
Was werden Sie am 3. Oktober machen?
Ich werde entweder bei der Festveranstaltung im sächsischen Landtag sein oder bei der in Potsdam. Darauf freue ich mich auch sehr. Das ist ein schönes Gefühl und auch eine Ehre, bei der Wiedervereinigung dabei gewesen zu sein und dann 30 Jahre später Gast so eines Festakts.
Über Tino Chrupalla
Tino Chrupalla, 45, hat nach der Schule eine Ausbildung zum Maler und Lackierer gemacht. Seit 2017 sitzt er für die AfD im Bundestag. Er ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender und sitzt unter anderem im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Mehr erfahrt ihr auf seinem Profil auf bundestag.de.
(jk)