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34 Jahre Deutsche Einheit In einem Land vor meiner Zeit

Jasmin Nimmrich

Als Nachwendekind im Osten des vereinigten Deutschlands aufzuwachsen, hat sich manchmal so angefühlt wie ein Leben in dritter Person. Wie viel eines Staates, der nicht mehr existiert, passt in 34 Jahre Deutsche Einheit?

Rund eine Million Menschen feierten wie hier vor dem Reichstagsgebäude in ganz Berlin die wiedergewonnene deutsche Einheit am 3. Oktober 1990. Mit diesem Tag sind die Deutschen 45 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges wieder in einem souveränen Staat vereint. Die DDR existiert mit dem Beitritt zum Geltungsbereich des Grundgesetzes am 3.10.1990 nicht mehr. Vor dem Reichstagsgebäude wehen die Fahnen der alten und neuen Bundesländer

Am 3. Oktober 1990 trat die frühere DDR der Bundesrepublik Deutschland bei. Vor dem Reichstagsgebäude in Berlin wurden an diesem Tag die Flaggen aller 16 Bundesländer – der elf alten und fünf neu hinzugekommenen – gehisst. © picture-alliance / dpa | Roland Holschneider

Der 3. Oktober, das ist ein neutraler Tag für mich. Es wird weder Kuchen angeschnitten und Sekt eingeschenkt, noch werden die Taschentücher ausgepackt und einer vergangenen Zeit nachgeweint. Es ist eher ein Tag – und das jedes Jahr aufs Neue – um Fragen zu stellen, für mehr Verständnis zu sorgen und Erklärungen zu finden.  

Ich bin dankbar darüber, dass in Deutschland keine physische Mauer mehr steht und dass die gleichen Rechte für alle Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gelten. Nichtsdestotrotz sind im kleinen wie im großen Rahmen Identitätsfragen entstanden, die – mal mehr mal weniger dringlich – infrage stellen, wie vereinigt das wiedervereinigte Deutschland eigentlich ist und wie sich die eigene Heimat, eines der sogenannten neuen Bundesländer, inmitten dieser Vereinigung positioniert. Wie viel Ossi steckt in Ost-sozialisiert? Und wie viel Platz haben die Spuren der Vergangenheit in der Bewältigung der Gegenwart?

Von Schokobohnen, Arbeitspflicht und Antworten 

Während des Großwerdens in Thüringen war keine Antwort auf ein „Und wie war das damals?“ vorhersehbar. Bilder und Berichte von der Vergangenheit, aus dem Land vor der eigenen Zeit, wirkten zu Teilen wie absurde Luftschlösser und manchmal klangen sie nach der besseren Alternative zur Gegenwart. Aber kann man wirklich missen, was man nie erlebt hat? Ostalgie nach Mokkabohnen, Elsterglanz und Arbeitssicherheit fällt schlichtweg einfacher als die Gedanken an politische Unterdrückung, Wahlbetrug und Planwirtschaft. 

Während auf Familienfotos gelächelt wird, wird an anderer Stelle die Behauptung laut, dass doch in der DDR niemand Grund zu lächeln hatte. Wessen Erzählungen stimmen? Wie sehr lässt sich ein Land vermissen, das nicht mehr existiert? Und inwieweit wird die Erinnerung durch dieses Vermissen verfälscht? 

Keine physischen Grenzen

In einer Zeit, in der es eigentlich kein Ost- und kein Westdeutschland mehr gibt – zumindest anhand physischer Grenzen zu urteilen – fühlt sich das Ost-Sozialisiertsein manchmal nach einem Bildungsauftrag und manchmal nach einem großen leuchtenden Stempel auf der Stirn an. Und irgendwo zwischen den beiden Erwartungen wird immer wieder deutlich, dass man weder der einen noch der anderen gerecht werden kann. 

Die DDR hat Spuren hinterlassen, doch ich erfahre nur auf Nachfrage welche. Auch die Wiedervereinigung hat Spuren hinterlassen, doch ich traue mich oftmals nicht nachzufragen, welche. Doch am 3. Oktober, da erlaube ich mir die Fragen nach der Einheit. 

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