Wahl in den USA Interview mit einem Wahlbeobachter
Naomi Webster-Grundl
Showdown: Am 5. November wählen die USA entweder nochmal Donald Trump zum Präsidenten oder Kamala Harris zu ihrer ersten Präsidentin. Der Bundestagsabgeordnete Tobias Winkler wird als Wahlbeobachter hautnah dabei sein. Was genau ist seine Aufgabe und warum könnte gerade die Beobachtung dieser Wahl besonders wichtig sein?
Genau. Am Dienstag, den 5. November wird dort gewählt, am Samstag davor geht es für uns Kurzzeit-Beobachter nach Washington. Da werden wir Samstag und Sonntag Briefings erhalten und dann geht es am Montag in die jeweiligen Bundesstaaten, in denen man die Wahl am Dienstag beobachtet. Ich werde in Michigan sein, in Detroit geht es los. Die genaue Route steht noch nicht fest. Ich hoffe, dass wir ein bisschen aus der Stadt rauskommen, weil das meistens spannender ist.
Wir sind in kleinen Teams unterwegs, jeweils zu zweit oder zu dritt. Und wir sind offiziell von der Regierung des jeweiligen Staates, dessen Wahl wir beobachten, akkreditiert. Im Vorfeld bekommen wir ein Briefing von den Langzeit-Beobachtern, die schon einige Monate im Land sind und die Wahlkampagnen beobachtet haben. Die schauen zum Beispiel: Hat jede Partei die gleichen Chancen im Wahlkampf? Hat die Opposition genauso Fernsehzeiten wie die Regierungspartei? Läuft das alles fair ab? Dann werden wir auch nochmal zu nationalen Wahlbesonderheiten aufgeklärt: Wer ist wahlberechtigt? Was und wer wird alles gewählt? Wie wird ausgezählt? In den USA ist die große Herausforderung, dass fast jeder Bundesstaat ein eigenes Wahlrecht hat. Manche Bundesstaaten lassen auch keine internationalen Wahlbeobachter zu. Am Wahltag selbst sind die Besuche von Wahllokalen zur Eröffnung und zur Schließung natürlich besonders interessant. Wenn die Wahl um 8 Uhr beginnt, sind wir um 7:30 Uhr am Wahllokal und haben eine Checklist und überprüfen Dinge wie: Gibt es am Wahllokal Wahlwerbung, wird pünktlich aufgemacht, wie viele Leute sind da, sind andere Wahlbeobachter vor Ort, gibt es barrierefreie Zugänge? Wir sprechen mit dem Wahlvorsteher und erfragen, wie viel Briefwahl-Beteiligung schon eingegangen ist und wie viele zur Wahl schon vor Ort waren, damit man das auf Plausibilität überprüfen kann. Wir sind pro Wahllokal etwa eine gute halbe Stunde vor Ort und fahren dann zum nächsten. Wir überprüfen bei jedem Wahllokal, das wir an dem Tag besuchen, ob alles ordnungsgemäß abläuft, ob es Wahlkabinen gibt, dass da keine Kameras sind, niemand eingeschüchtert wird. Wenn die Wahllokale schließen, bleiben wir und schauen uns den kompletten Auszählprozess an.
Wenn irgendwo etwas nicht den Regeln entspricht, dann sprechen wir das in dem Moment dort nicht an, sondern wir protokollieren es nur. Wir haben keinerlei Eingriffsrechte. Das ist manchmal gar nicht so leicht, gerade wenn man Wahlen beobachtet, bei denen es zu groben Verstößen kommt. Aber unsere Aufgabe ist eben reine Beobachtung.
Tobias Winkler (CDU/CSU) ist seit 2021 Mitglied des Bundestages für die CSU und Mitglied im Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union sowie Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Als Wahlbeobachter reiste er bereits nach Kasachstan, Aserbaidschan und auch schon in die USA zu den Midterm Elections im Jahr 2022.
Ich glaube, der Gedanke „Wer nicht zugucken lässt, hat was zu verbergen“ stimmt da nicht so ganz. In so alten Demokratien wie in den USA gibt es teilweise noch ganz merkwürdige Regelungen aus grauer Vorzeit. Dabei ging es vielleicht um ausländische Einflussnahme. Ein Grund, warum in den USA immer noch am Dienstag gewählt wird, ist zum Beispiel auch kurios: Am Sonntag, dem Tag der Kirche, sollte nicht gewählt werden. Da früher oft nur in der Hauptstadt gewählt werden konnte und man weite Wege mit Pferd oder Kutsche zurücklegen musste, wurde die Wahl erst auf Dienstag gelegt. Das ist heute kein Argument mehr, aber es wird halt immer noch so gemacht. In aller Regel gibt es in Wahllokalen einen extra Bereich für nationale Wahlbeobachter. Die kommen dann von den unterschiedlichen Parteien und schauen den ganzen Tag in einem Wahllokal bei der Wahl zu. Anders als bei uns in Deutschland gibt es in den USA kaum Wahllokale, in denen kein Wahlbeobachter sitzt.
Da gibt es verschiedene Wege. Ich selbst bin als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) als Wahlbeobachter eingeladen. Auch viele andere Organisationen entsenden regelmäßig Wahlbeobachter. Wer Interesse hat, kann sich für diese Aufgabe bewerben, zum Beispiel für Wahlbeobachtungsmissionen der OSZE und der EU.
57 Staaten aus Europa, Zentralasien und Nordamerika sind Mitglied der OSZE – unter anderem die USA. Teil der Charta der OSZE ist es, dass jedes Mitgliedsland Wahlbeobachter der OSZE zulassen muss. Das heißt, wir sind offiziell von den USA als Wahlbeobachter eingeladen. Aber Russland ist auch Mitglied der OSZE und hat sich nicht an die Verpflichtung gehalten. Wir sind damals nicht zu den Wahlen eingeladen worden. Das war ein Verstoß gegen die OSZE-Regeln.
Bei den USA ist das verhältnismäßig einfach, weil man ja auch in Deutschland durch die Medien geradezu bombardiert wird mit Informationen zur Präsidentschaftswahl. Bevor ich zur Wahlbeobachtung nach Kasachstan gereist bin, habe ich gezielt nach Medien recherchiert, die über den Wahlkampf dort berichten, und habe auch Hintergrundinformationen über das Auswärtige Amt angefordert. Bei den USA ist es relativ einfach, an tiefergehende Informationen zu kommen. Je besser man vorbereitet ist, desto mehr hat man dann auch von der Wahlbeobachtung, weil man besser auf Nuancen achten kann.
Ich war 2022 auch für die Beobachtung der Midterm Elections (Halbzeitwahlen) in den USA und fand das persönliche Commitment der Bevölkerung sehr spannend. Leute, die nicht selbst im Wahlkampf stehen, kleistern ihr komplettes Haus oder Auto mit Wahlwerbung für den Kandidaten oder die Kandidatin, die sie unterstützen, zu. Und was ich dort auch wahrgenommen habe, ist eine ganz große Begeisterung für Demokratie. Wählen zu gehen, ist für alle eine riesige Ehre und auch die Wahlleiter und Wahlhelfer sind mit ganz großem Eifer und großer Begeisterung dabei: „Wir sind heute hier für unser Land.“ Schon vor Öffnung der Wahllokale stehen die Leute Schlange und in der Mittagspause kommen die Leute, warten teilweise sehr lange, bis sie dran sind, und wollen ihre Stimme abgeben. Es ist beeindruckend zu sehen, wie viel Wertschätzung der Akt des Wählens dort erfährt.
Die meisten Bürger werden gar nicht mitbekommen, dass die Wahlbeobachtung stattfindet. Aber wir sprechen ja auch mit Wählerinnen und Wählern, die aus dem Wahllokal kommen, oder werden gefragt, was wir da machen – und die meisten reagieren sehr positiv: „Toll, dass ihr da seid.“, „Ich finde super, dass ihr das macht.“ Also meistens wird das sehr wertgeschätzt, ohne dass damit der Vorwurf einhergeht, dass die Wahlen sonst manipuliert würden. Aber sehr viele sind daran interessiert, dass diese Wahlen gut laufen. Bei der letzten US-Wahl war es wirklich verheerend, wie aus dem Trump-Lager versucht wurde, das Wahlergebnis im Nachhinein zu delegitimieren. Das gab es so vorher auch noch nicht. Natürlich beobachten wir dieses Mal auch mit diesem Aspekt im Hinterkopf. Und dann können wir sagen, dass der vorgeworfene Wahlbetrug so nicht stattgefunden haben kann, oder dass es sehr unwahrscheinlich ist, je nachdem, was genau vorgeworfen wird. Die Wahlbeobachtung hilft zur Legitimation. Das war im Falle der USA früher nie notwendig. Das erleben wir eher in autokratisch regierten Ländern.
Ich könnte mir vorstellen, dass es eine hohe Wahlbeteiligung geben wird. Wir in Deutschland wären gut beraten, uns auf beide möglichen Szenarien als Ergebnis der Präsidentschaftswahl einzustellen. Die US-Präsidentschaftswahl ist ein Weltereignis und sie hat Auswirkungen auf allen Kontinenten: Ganz konkrete Auswirkungen auf die Lage in der Ukraine, die Situation im Nahen Osten und den Umgang mit China. Dadurch ist Deutschland immer indirekt mit betroffen und es macht einen Unterschied für Deutschland, wer Präsident oder Präsidentin der USA wird. Deswegen verfolgen wir diesen Wahlkampf und diese Wahl sehr intensiv.
Am Abend der Wahl werden die Protokolle gesammelt und es gibt dann sehr bald eine Art Kurzmeldung über gröbere Verstöße oder meldepflichtige Ereignisse. Über Nacht wird eine erste Auswertung gemacht und zu der gibt es dann am Morgen nach der Wahl eine Pressekonferenz, in der die ersten Eindrücke wiedergegeben werden können. Danach werden die Protokolle nochmal sorgfältig in allen Einzelheiten ausgewertet und statistisch in einem Bericht erfasst. Und dieser Bericht wird dann irgendwann der OSZE vorgelegt. Und das betroffene Land schaut sich diesen Bericht dann meist sehr präzise an. Das ist natürlich vor allem dann relevant, wenn ein Vorwurf von Wahlbetrug im Raum steht oder dass Wahlen nicht fair abgelaufen seien. Dann kann dieser Bericht als Argumentationsstütze genutzt werden. Sollte Donald Trump die Legitimität dieser Wahl anzweifeln, kann man sagen: Es waren Wahlbeobachter aus allen Teilen der Welt vor Ort, die fanden, dass alles in Ordnung war.
Es ist eine unglaublich gute Möglichkeit, ein Land ganz anders als nur als Tourist und selbst anders als mit einer politischen Delegation in kurzer Zeit sehr intensiv kennenzulernen. Man bekommt sehr schnell einen sehr tiefen Zugang. Man spricht mit so vielen verschiedenen Menschen am Tag der Wahl, da freue ich mich sehr drauf, weil es immer unglaublich lehrreich ist. Bei den Midterm Elections habe ich einen Polizisten kennengelernt, der mit der Army in Deutschland stationiert war, und zwar genau in meinem Wahlkreis. Das war dann natürlich ein sehr interessanter Austausch. Dieses Kennenlernen von Land und Leuten ist so ein schöner Nebeneffekt neben der tatsächlichen Aufgabe der Wahlbeobachtung.