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Lkw-Abbiegeassistent Pflicht in Ortschaften?

Laura Heyer

Knapp 705 Radfahrer wurden 2019 bei Abbiege-Unfällen verletzt. Die Grünen fordern daher: Nur Lkw, die einen sogenannten Abbiegeassistenten haben, sollen in Ortschaften fahren dürfen. Doch es gibt Kritik.

Warnschild Toter Winkel

Beim Rechtsabbiegen passieren häufig Unfälle. Abbiegeassistenten können das verhindern.©picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte

Radfahrer kennen das Gefühl: An der Kreuzung springt die Ampel auf Grün, doch bevor man losfährt, schaut man sicherheitshalber nach links. Hat der Autofahrer, der rechts abbiegen will, einen wirklich gesehen? Auch die Leute am Steuer sind meist vorsichtig. Schon in der Fahrschule lernt man: Schulterblick! Schließlich kann jemand im "toten Winkel" sein, also so stehen, dass man ihn nicht sieht.

Trotzdem passieren jedes Jahr viele Abbiege-Unfälle, bei denen Auto- und Lkw-Fahrer Radfahrer übersehen. Laut Statistischem Bundesamt starben 2019 445 Radfahrer auf deutschen Straßen. 705 wurden bei Abbiegeunfällen verletzt, 44 von ihnen tödlich.

Das muss sich ändern, sagen die Grünen – und fordern in einem Gesetzentwurf, dass es Lkw ohne Abbiegeassistent künftig nicht mehr erlaubt sein soll, in geschlossenen Ortschaften zu fahren. Kürzlich haben die Abgeordneten im Bundestag zum ersten Mal über den Vorschlag diskutiert.

Warum Lkw?

An vielen schweren Unfällen, die beim Rechtsabbiegen passieren, sind Lkw beteiligt. Aber warum? Sogenannte schwache Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger oder Radfahrer sind ganz ohne Schutz unterwegs. Je größer das Fahrzeug ist, mit dem sie zusammenstoßen, desto größer ist auch die Gefahr, bei einem Unfall überrollt und getötet zu werden.

Zudem gibt es den sogenannten „toten Winkel“. Er beschreibt den Raum außerhalb des Fahrzeugs, den Fahrer nicht einsehen können – auch nicht mit Hilfe des Rück- oder Außenspiegels. Da sich Fahrzeug und Radfahrer an der Ampel bewegen, weil sie angefahren kommen oder bei Grün losfahren, ändert sich natürlich auch das Geschehen in diesem Winkel. Dazu kommt, dass große Fahrzeuge zum Rechtsabbiegen oft ausscheren müssen und auch dabei andere Verkehrsteilnehmer aus dem Blickfeld geraten.

Was ist der Abbiegeassistent?

Der sogenannte Abbiegeassistent ist ein technisches System im Fahrzeug. Es warnt den Fahrer oder die Fahrerin, wenn es einen Fußgänger oder Radfahrer in der Nähe erkennt. Dabei gibt es verschiedene Typen: Manche Einrichtung haben eine Kamera und einen Bildschirm im Fahrzeug, andere haben ein Radarsystem. In allen Fällen wird der Fahrer aber durch ein akustisches Signal wie ein Piepen oder einen optischen Hinweis auf dem Bildschirm gewarnt oder der Wagen sogar automatisch abgebremst.

Laut einer EU-Regelung müssen alle neuen Fahrzeugtypen in ganz Europa ab 2022 einen Abbiegeassistenten eingebaut haben, alle neuen Fahrzeuge dann ab 2024. Bisher ist so eine Einrichtung in Deutschland nicht Pflicht, soll aber gefördert werden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kündigte kürzlich an, dass Spediteure die sogenannte Abwrackprämie für alte Lkw nur in Anspruch nehmen könnten, wenn sie einen Abbiegeassistenten in das neu angeschaffte Fahrzeug einbauen lassen. Mit diese Prämie unterstützt die Bundesregierung die Anschaffung von fabrikneuen abgasärmeren Lastwagen.

Das fordern die Grünen

Das wollen die Grünen jedoch ändern und fordern in ihrem Gesetzentwurf, sogeannnte Verkehrssicherheitszonen in Deutschland. Dort dürfen dann Lkw „nur am Straßenverkehr teilnehmen, wenn sie mit dem Stand der Technik zur Sicherung des verkehrlichen Umfeldes ausgerüstet sind.“ Als Verkehrssicherheitszonen definieren die Grünen geschlossene Ortschaften.

„Es braucht nur eine Änderung in der Straßenverkehrs-Ordnung, und Abbiegeassistenten wären in den Städten vorgegeben; das ist möglich, das ist sinnvoll“, sagte Stefan Gelbhaar in der Aussprache. Bisher habe die Bundesregierung nicht gehandelt. Dabei sei es die „vornehmste Aufgabe des Staates“, das Leben und die Gesundheit zu schützen.

Das sagt die Koalition

Jeder Tote im Straßenverkehr ist einer zu viel – da waren sich alle Abgeordneten einig. Doch SPD und CDU setzen auf Freiwilligkeit. Statt Verboten forderte Udo Schiefner von der SPD, „Unfallschwerpunkte in den Blick zu nehmen“ und dort die Radfahrspuren und Ampelschaltungen zu verbessern. Dr. Christoph Ploß (CDU/CSU) wies darauf hin, dass ein Verbot europarechtlich nur schwer umsetzbar sei – schließlich könnten dann ausländische Lkw womöglich nicht mehr in vielen Ortschaften fahren, so Ploß.

Im mitmischen-Interview skizziert er seine Sichtweise.

So sehen es AfD, FDP und Linke

Zu hohe Kosten, vor allem für kleine Speditionen – auf diesen Punkt verwies Wolfgang Wiehle (AfD) in der Debatte. Aus seiner Sicht gäbe es andere Probleme zu lösen: „Wenn Ihnen tatsächlich etwas an der Vermeidung von Verletzten im Verkehr unserer Städte gelegen wäre, hätten Sie nicht verantwortungslos der Schwemme von EScootern zugestimmt“, kritisierte er die Grünen.

Die Frage der Kosten und vor allem der Kontrolle, wer nun wirklich einen Abbiegeassistenten eingebaut hat, brachten auch Christian Jung (FDP) und Andreas Wagner (Die Linke) auf die Tagesordnung. Aus ihrer Sicht muss vor allem an der Infrastruktur für Radfahrer und nicht nur im Bereich der Lkw etwas verbessert werden.

Die gesamte Debatte könnt ihr hier nachlesen oder auf bundestag.de anschauen.

(lh)

Mitmischen-Autorin

Laura Heyer

hat in Heidelberg Geschichte studiert, in Berlin eine Ausbildung zur Journalistin gemacht und ist dann für ihre erste Stelle als Redakteurin nach Hamburg gegangen. Dort knüpft sie nun Netzwerke für Frauen. Aber egal wo sie wohnt – sie kennt immer die besten Plätze zum Frühstücken.

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