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Europäischer Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma Bärbel Bas betont Ver­ant­wortung für Völkermord an Sinti und Roma

Vor 80 Jahren wurden in den Gaskammern des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau die letzten inhaftierten Sinti und Roma getötet. Im Rahmen einer Gedenkveranstaltung an den Völkermord reiste Bärbel Bas (SPD) als erste Bundestagspräsidentin nach Auschwitz.

Blick auf eine Bühne, auf der eine Frau mit schulterlangen blonden Haaren in einen dunklen Anzug gekleidet am Mikro steht. Vor ihr Stuhlreihen mit Zuhörerinnen.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas während ihrer Gedenkrede in Auschwitz-Birkenau. © DBT/Tobias Koch

„Die Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zu ihrer historischen Verantwortung“, betonte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) am Freitag, 2. August 2024, im polnischen Oswiecim. Bas hielt bei der Internationalen Gedenkveranstaltung zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma in der Gedenkstätte des ehemaligen deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau in Polen die Gedenkansprache. Nie zuvor hatte ein Bundestagspräsident oder eine Bundestagspräsidentin Auschwitz besucht. 

Bas sprach auf Einladung des Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, der „der Demokratie und der Erinnerungskultur in Deutschland einen großen Dienst“ erwiesen habe. Die historische Verantwortung Deutschlands bedeute zugleich die Verpflichtung, Antiziganismus entschieden entgegenzutreten. Dass der Bundestag Ende 2023 die Bundesregierung mit breiter Mehrheit aufgefordert habe, eine Kommission zur Aufarbeitung des Unrechts an Sinti und Roma einzurichten, sei ein „starkes Zeichen der Entschlossenheit“.

„Unrecht lange beschwiegen und verdrängt“

Das Leid der Sinti und Roma sei nach dem Krieg nicht anerkannt worden, Gerichte hätten den Überlebenden Entschädigungen verweigert und die Opfer für ihre Verfolgung selbst verantwortlich gemacht, sagte Bas. Der Völkermord an den Sinti und Roma sei verschwiegen und verleugnet, kaum ein Täter zur Rechenschaft gezogen worden.

Eine „bittere Erkenntnis“ sei, so die Bundestagspräsidentin, dass Unrecht auch in der Demokratie „lange beschwiegen und verdrängt“ wurde. In der Demokratie sei es aber möglich, gegen das Verdrängen und Beschweigen der Verbrechen anzukämpfen. Diesen Kampf hätten die Überlebenden der Sinti und Roma, ihre Kinder und Enkel, auf sich genommen. Sie hätten Deutschland mit seinen Verbrechen konfrontiert und auf Gleichberechtigung bestanden.

Diskriminierungen immer noch verbreitet

Aus Sicht der Bundestagspräsidentin ist das gesellschaftliche Bewusstsein für den Völkermord an den Sinti und Roma und die historische Verantwortung immer noch nicht selbstverständlich. So seien feindliche Einstellungen und Diskriminierungen gegenüber Sinti und Roma immer noch weit verbreitet. Inakzeptabel sei, dass sie von Vermietern bei der Wohnungssuche und von Unternehmern auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden.

Auch der Staat werde seiner historischen Verantwortung nicht immer gerecht, sagte Bas. Beschäftigte in Verwaltungen misstrauten Sinti und Roma oftmals, Sicherheitskräfte kontrollierten sie häufiger, auch ohne Anlass. Lehrkräfte trauten Kindern von Sinti und Roma oft keine Leistungen in der Schule zu.

Ende von Abwertung und Ausgrenzung gefordert

Bas forderte daher einen Bewusstseinswandel in vielen Bereichen der Gesellschaft und ein Ende von Abwertung und Ausgrenzung: „Wir brauchen Respekt und Akzeptanz.“ Die Demokratie garantiere den Schutz von Minderheiten und lebe davon, dass alle Bürgerinnen und Bürger ohne Wenn und Aber die gleichen Rechte haben.

Auch heute, so die Bundestagspräsidentin, gebe es Kräfte, die „unsere Gesellschaften“ in ein „Wir“ und „die Anderen“ aufspalten wollten und Hass schürten auf Sinti und Roma, Jüdinnen und Juden und auf alle, „die tatsächlich oder vermeintlich anders sind“. 

Wenn man heute den Anfängen wehren wolle, müsse man diese verstehen: Auch damals hätten sie in der Sehnsucht nach einfachen Lösungen bestanden, in der Verachtung für Demokratie und im Glauben, dass Ausgrenzung einen selbst nicht trifft.

4.300 Sinti und Roma in die Gaskammern gezwungen

Bas erinnerte daran, dass sie an der Stelle sprach, an der sich das Lager für die Sinti und Roma befunden habe, die vor genau 80 Jahren ermordet wurden. In nur einer Nacht hätten die Nationalsozialsten bis zu 4.300 Kinder, Frauen und Männer in die Gaskammern gezwungen. Dabei hätten Frauen wie Männer erbitterten Widerstand geleistet. Im Jahr 2015 hatte das Europäische Parlament den 2. August zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma erklärt.

„Heute hat das Leiden der Sinti und Roma einen festen Platz im öffentlichen Gedenken Deutschlands“, betonte die Bundestagspräsidentin. Ein Denkmal erinnere mitten in Berlin an den Völkermord und werde jeden Tag von vielen Menschen besucht.

Erinnerung an den Warschauer Aufstand

Bas erinnerte aber auch an den Aufstand der Polnischen Heimatarmee in Warschau Anfang August 1944, an den deutschen Vernichtungskrieg gegen Polen mit Zehntausenden Opfern, an Tausende umgebrachte Kriegsgefangene aus anderen europäischen Ländern und an Menschen, die aus anderen Gründen interniert, gequält und getötet wurden – wegen ihrer Weltanschauung, ihrer Religion, ihres Lebenswandels oder ihrer Sexualität, die nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten passten. 

Kranzniederlegung und Gespräch mit Jugendlichen

Die Bundestagspräsidentin hatte am Vortag das ehemalige Stammlager Auschwitz I besucht und an der Todeswand einen Kranz niedergelegt. In Auschwitz II-Birkenau stellte sie am Internationalen Mahnmal für die Opfer des Konzentrationslagers ein Grablicht auf. 

Es folgte in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte, die zwischen der Stadt Oświęcim (deutsch: Auschwitz) und dem ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz liegt, ein Gespräch mit etwa dreißig 15- bis 17-jährigen Jugendlichen aus Deutschland, Polen und der Ukraine im Rahmen des polnisch-deutsch-ukrainischen Jugendaustauschprojekts „Licht in der Dunkelheit. Trotzdem JA zum Leben sagen.“

Dieser Beitrag erschien zuerst auf bundestag.de.

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