Streit um Messenger Sollte Telegram reguliert werden?
Der Messenger Telegram zieht Verschwörungstheoretiker und Rechtsradikale an. In Chat-Gruppen kommt es zu Gewaltaufrufen. Die Bundesregierung möchte den Dienst regulieren. Das kritisiert die AfD in einem Antrag.
Von Whatsapp über Instagram Direct bis Signal und Telegram: Wir alle benutzen im Alltag Messenger-Dienste, oft sogar mehrere gleichzeitig. Dabei gelten einige Dienste als besonders sicher, was den Umgang mit Nutzer-Daten betrifft. In diesem Zusammenhang wird Telegram häufig erwähnt.
Doch geriet der Telegram-Messenger auch in Verruf. Verschwörungstheoretiker und rechtsextreme Gruppierungen sammelten sich mitunter dort und verbreiteten Fake News, also in manipulativer Absicht verbreitete Falschmeldungen, heißt es jetzt oft. Auf der anderen Seite hört man, dass Telegram derzeit ein wichtiger und relativ sicherer Kommunikationskanal für die Bevölkerung in der Ukraine ist: So gelangen Informationen in Kriegsgebiete und Familien können Kontakt zu ihren Angehörigen vor Ort halten.
Aufrufe zum Töten bei Telegram
Zuletzt war Telegram in Deutschland in den Schlagzeilen, weil es aus der sogenannten Querdenkerszene vielfach Aufrufe zum Töten einzelner Personen wie Politiker, Ärzte und Journalisten gegeben hatte. Bei dem Messenger gibt es teilweise große geheime Chat-Gruppen, deren Inhalte man nur sehen kann, wenn man einen Einladungslink erhält.
Ende des vergangenen Jahres wurden Stimmen aus der Politik lauter, man müsse härter gegen Telegram vorgehen. Die Bundesregierung hat mehrmals angekündigt, den Messenger-Dienst stärker regulieren zu wollen. Das Ziel: Dafür zu sorgen, dass Gesetze ganz wie in der „normalen Welt" außerhalb des Internets auch auf Telegram eingehalten werden, also durchzusetzen, dass gegen strafbare Inhalte vorgegangen wird und Straftaten verfolgt werden.
Sperrung von 64 Kanälen
Auf Druck der Bundesregierung hatte der Messenger-Dienst im Februar zunächst 64 Kanäle gesperrt, darunter auch den Kanal des bekannten Verschwörungsideologen Attila Hildmann.
Zuvor war es schwierig gewesen, überhaupt Verantwortliche des Unternehmens zu erreichen. Telegram ist ein russisches Unternehmen mit Sitz in Dubai. Die Bundesregierung drohte schließlich mit hohen Bußgeldforderungen. Ein erstes Gespräch hatte es dann Anfang Februar gegeben. Anschließend gab Bundesinnenministerin Nancy Faeser bekannt, das Gespräch sei konstruktiv verlaufen und man wolle im Austausch bleiben.
Mehr Kontrolle durch ein Gesetz?
Eine Möglichkeit, soziale Medien zu kontrollieren, ist das geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Messenger-Dienste werden derzeit allerdings nicht vom NetzDG erfasst, da sie – anders als zum Beispiel Twitter – zur Individualkommunikation bestimmt sind.
Da bei Telegram aber inzwischen Gruppen mit weit mehr als 20.000 Mitgliedern existieren, gibt es Argumente dafür, dass der Dienst inzwischen eher einer Plattform wie Facebook entspricht und somit das NetzDG auch hier greift.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz
Das Netzdurchsuchungsgesetz (NetzDG) ist seit dem 1. Oktober 2017 in Kraft. Ziel des Gesetzes ist es, Hasskriminalität, strafbare Falschnachrichten und andere illegale Inhalte auf Plattformen sozialer Netzwerke wirksamer bekämpfen zu können. Es geht zum Beispiel um Beleidigungen, Volksverhetzung oder öffentliche Aufforderungen zu Straftaten.
Mit dem NetzDG wurden auch gesetzliche Verhaltensregeln für die Betreiber sozialer Netzwerke eingeführt. Verstöße können mit Bußgeldern geahndet werden. Mehr Infos findet ihr hier.
AfD-Fraktion gegen „Zensur“
Die AfD-Fraktion ist gegen die Regulierungsvorhaben der Bundesregierung. Sie überschrieb ihren Antrag mit „Meinungsfreiheit schützen – Keine Zensur von Telegram“. In dem Papier weist die Fraktion darauf hin, dass der Telegram-Gründer Pavel Durow mit seiner App eine „freiheitliche Haltung“ gegenüber Behörden und Staaten aufrechterhalte, die die Herausgabe einzelner Daten fordern. Die App sei deshalb insbesondere auch in autoritär regierten Ländern für Journalisten, Dissidenten und Whistleblower wichtig.
Außerdem bezeichnet die AfD-Fraktion das NetzDG als unverhältnismäßig und verfassungswidrig (zur Erklärung: mit dem Grundgesetz nicht vereinbar). Sie führt ferner an, dass die Bundesregierung nicht nur das NetzDG anwenden wolle, sondern auch ein „Abschalten“ des Dienstes nicht ausschließe und zudem App-Store-Betreiber aufgefordert habe, die App nicht länger anzubieten. Diese Maßnahmen widersprächen laut AfD-Fraktion einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte: Demnach verstießen pauschale politische Blockaden von Webseiten und Internetdiensten gegen die Meinungsfreiheit.
Am 17. März hat der Bundestag das Thema in einer 68-minütigen Debatte beraten.
AfD: „Freiheit soll in Deutschland beschnitten werden“
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) habe im Januar mit der Abschaltung der Messenger-App Telegram gedroht – damit eröffnete Joana Cotar von der AfD-Fraktion ihre Rede. Sie führte aus, dass auch Markus Söder (CSU) und der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) die App verbannen wollten. Die Politik sei sich wohl einig, dass der Messenger-Dienst gefährlich sei. Cotar sagte, dass dieses Vorgehen dem Telegram-Gründer Pavel Durow bereits bekannt sei, allerdings nicht von westlichen Demokratien, sondern von Ländern wie China, Russland oder dem Iran.
Telegram sei derzeit einer der wichtigsten Kommunikationskanäle in der Ukraine. Inhalte würden auf Ukrainisch, Russisch und Englisch gesendet, sodass man auch in Deutschland mitbekäme, was dort los sei.
In Deutschland lobe man zum einen den Einsatz von Telegram in der Ukraine, sobald sich aber die außerparlamentarische Opposition über den Dienst organisiere, stünde ein Verbot zur Debatte, behauptete Cotar. Dass auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) das NetzDG auf Telegram anwenden wolle, mache fassungslos, da die FDP in der letzten Legislaturperiode die Abschaffung des NetzDGs gefordert habe.
Man habe bereits in Russland versucht, Telegram abzuschaffen, ohne Erfolg, die Freiheit habe dort gewonnen, in Deutschland wolle man sie nun beschneiden.
Zanda Martens (SPD): „Meinungsfreiheit sichern, Hetze unterbinden“
Bei Telegram handele es sich längst nicht mehr um einen Messenger für Individualkommunikation, sagte Zanda Martens von der SPD zu Beginn ihrer Rede. Telegram-Kanäle seien heute vielmehr soziale Netzwerke auf einer digitalen Plattform und auf digitalen Plattformen gälten Menschen- und Grundrechte. Dazu zähle natürlich auch die Meinungsfreiheit, so Martens, sie habe aber dann ihre Grenzen, wenn die menschliche Würde verletzt werde. Sie fügte hinzu, dass Faschismus und Gewaltfantasien keine Meinung darstellten. Die Demokratie müsse sich gegen kriminelle Taten wie den Aufruf zu Hass und Gewalt wehren.
Martens betonte, Telegram habe einen ambivalenten Charakter, da die App in einer Demokratie das System schwächen könne, in Diktaturen und Autokratien einen Weg der freien Kommunikation für die Zivilbevölkerung darstelle. Das sei auch aktuell in der Ukraine der Fall.
Sie fügte hinzu, dass man die Frage abwägen und differenziert betrachten müsse, wie man Meinungsfreiheit sichern und Hetze unterbinden könne – diese Schritte suche man bei der AfD vergebens. Plattformen dürften kein rechtsfreier Raum bleiben, so Martens. Sie habe sich zudem gefragt, warum ausgerechnet die AfD einen Ruf nach Demokratie und Freiheit äußere. Die AfD wolle wohl darüber hinwegtäuschen, dass Einschränkungen von Telegram-Diensten den Nährboden für die Bewegung entziehen, die für die AfD essenziell sei, so Martens.
Carsten Müller (CDU/CSU): „Gibt Möglichkeiten, verfassungskonform zu regulieren“
Carsten Müller von der CDU/CSU-Fraktion wies zunächst daraufhin, dass schon andere Fraktionen versucht hätten, das NetzDG heranzuziehen, um Individualkommunikation über Messenger-Dienste zu regulieren. Zuletzt habe das die FDP in der vergangenen Legislaturperiode mit Whatsapp versucht. Ein solches Vorhaben sei mit der Union undenkbar, so Müller.
Jetzt gebe es diese Überlegung in Bezug auf Telegram, das NetzDG schließe allerdings ausdrücklich aus, Plattformen zur Individualkommunikation in das Gesetz einzubeziehen. Die private Kommunikation der Bürger unterliege zurecht hohen Schutzhürden.
Müller führte an, dass es zudem gute Möglichkeiten gebe, „das Ganze verfassungskonform zu regulieren“. In diesem Zusammenhang stehe es außer Frage, dass Plattformbetreiber mit deutschen Behörden zusammenarbeiten müssten.
Anschließend wandte sich Müller direkt an die AfD-Fraktion und kritisierte, dass mit Eugen Schmidt der „Nummer-eins-Propagandist des Kriegsverbrechers Putins innerhalb des Bundestages“ zu den Antragsstellern gehöre. Müller zitierte Schmidt, der in russischen Staatsmedien gesagt habe, es gebe keine Demokratie in Deutschland. Müller führte an, dass Schmidt wohl kaum seine Meinung auf diese Weise äußern könnte, würden oppositionelle Meinungen in Deutschland unterdrückt. Es sei grotesk, dass die AfD-Fraktion, deren Geschäftsmodell auf Hetze, Hass und Falschinformationen basiere, sich zum Thema Meinungsfreiheit äußere, so Müller abschließend.
Tabea Rößner (Grüne): „Sperrung von Telegram unverhältnismäßig“
Dass die AfD sich als Verfechterin der Meinungsfreiheit aufspiele, sei nicht glaubwürdig, fand auch Tabea Rößner von der Grünen-Fraktion. Denn AfD-Mitglieder würden Andersdenkende beschimpfen, gegen Menschengruppen hetzen und unabhängige Medien diskreditieren.
Auch Rößner zitierte Eugen Schmidt und wies darauf hin, dass man Hass auf Politiker und Politikerinnen schüre, indem man behaupte, die regierende Elite unterdrücke andere Meinungen. Der Mord an Walter Lübcke habe das gezeigt. Walter Lübcke war ein hessischer Politiker der CDU, der 2019 von einem Rechtsextremisten auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen wurde.
Auch Rößner kam auf den Aspekt zu sprechen, dass die Ukraine derzeit von Netzwerken wie Telegram profitiere. Es sei aber peinlich, dass die AfD sich mit den Verfolgten in autoritären Regimen auf eine Stufe stelle.
Ein Sperrung von Telegram oder Entfernen aus den App-Stores sei allerdings ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Meinungsfreiheit, so Rößner. Man müsse aber die verschiedenen Kommunikationsteile von Telegram getrennt betrachten: Eins-zu-eins-Kommunikation und geschlossene Chatgruppen. Außerdem brauche es Regulierungen, die in europarechtliche Rahmen eingebettet werden und man müsse sich der Frage widmen, wie man im Digitalen eine gemeinsame Basis für den demokratischen Diskurs finden könne.
Petra Sitte (Linke): „Meinungsfreiheit hat auch Grenzen“
Auch sie habe sich die Augen gerieben, als sie den Antrag der AfD gelesen habe, sagte Petra Sitte von der Linksfraktion. Ausgerechnet die AfD, die alles mit Verachtung betrachte, was nicht in ihr „übles Weltbild“ passe, wolle sich als Kämpferin für die Meinungsfreiheit aufspielen. Sitte erwähnte, dass vor wenige Monaten eine Telegram-Gruppe bekannt geworden sei, in der auch bayrische AfD-Funktionäre Äußerungen zu Umsturzfantasien geteilt hätten. Genau diese Äußerungen empfände die AfD als Meinungsfreiheit, es seien aber solche Äußerungen, die Mordanschläge wie den auf Walter Lübcke begünstigten, so Sitte. Unter Meinungsfreiheit verstünde die AfD zu hetzen und Unwahrheiten zu verbreiten.
Deshalb habe auch Meinungsfreiheit ihre Grenzen und diese erforderten eine gesetzliche Regulierung von Plattformen wie Telegram, sagte Sitte weiter. Telegram sei Heimat jener geworden, die sich anhand kruder Verschwörungstheorien nach rechts radikalisiert haben. Die erwähnten Maßnahmen seien trotzdem fragwürdig, auch im Hinblick auf die Situation in der Ukraine, wo Telegram helfe, Menschen in Kriegsgebieten mit Informationen zu versorgen. Hingegen sei es zu begrüßen, dass es Kontakt zu Telegram gebe und es dort einen gewissen Kooperationswillen bei der Löschung strafbarer Inhalte gebe.
Thorsten Lieb (FDP): „Es geht um Einhaltung geltenden Rechts“
Thorsten Lieb von der FPD-Fraktion sagte ebenfalls, es sei schwer vorstellbar, dass die AfD-Partei als Hüterin der Meinungsfreiheit auftrete. Denn sie selbst werde vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall geführt. Zur Erklärung: Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist als deutscher Inlandsgeheimdienst eine Art "Frühwarnsystem" und beobachtet Bestrebungen, die gegen die "freiheitliche demokratische Grundordnung" gerichtet sind. Die gesamte AfD ist in die Kategorie Verdachtsfall eingeordnet.
Der AfD-Antrag offenbare, dass es der AfD-Fraktion gar nicht um Meinungsfreiheit gehe, auch nicht um Telegram. Es gehe vielmehr um die Angst, dass rechtsstaatliche Prinzipien auf der „liebgewonnen Plattform“ Einzug halten könnten. Die AfD träume wohl noch immer vom Internet als rechtsfreiem Raum, so Lieb weiter.
Die Telegram-App sei als Plattform ein soziales Netzwerk im Sinne des NetzDG, daran könne es keinen Zweifel geben, so Lieb weiter. Er begrüße deshalb die Aktivitäten des Bundesjustiz- und -innenministeriums. Das habe nichts mit Zensur oder Überwachung zu tun. Es gehe um die Einhaltung geltenden Rechts, die sei auch ein Beitrag zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Nutzer.
Matthias Helferich (fraktionslos): „Es geht um Bekämpfung freiheitlicher Informationsgewinnung“
Auch der fraktionslose Abgeordnete Matthias Helferich brachte in einer Rede seinen Standpunkt zum Ausdruck. Helferich ist Landessprecher der AfD in Nordrhein-Westfalen, jedoch nicht Mitglied der AfD-Fraktion im Bundestag. Mehr Infos zum Thema fraktionslose Abgeordnete findet ihr hier.
Es stünde außer Frage, dass Aufrufe zum Mord oder das Verbreiten von illegalem Material in einem Rechtsstaat Strafverfahren zugeführt werden müssten, begann Helferich seinen Redebeitrag. Allerdings ginge es dem „Establishment der Bundesregierung“ bei der Regulierung von Telegram um mehr als Strafverfolgung, behauptete Helferich. Es ginge vielmehr um die Bekämpfung freiheitlicher Informationsgewinnung. Ob Teheran oder Berlin, die Herrschenden schienen wohl die Vernetzung oppositioneller Kreise und demokratische Protestbewegungen zu fürchten, so Helferich.
Die komplette Bundestagsdebatte seht ihr hier im Video, das Protokoll findet ihr wie immer auf bundestag.de.
Kleine Anfragen zu Telegram
Zum Thema Telegram gab es übrigens auch schon einige Kleine Anfragen verschiedener Fraktionen. Die AfD-Fraktion fragte in einer Kleinen Anfrage nach einer möglichen Einflussaufnahme auf private Unternehmen im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Hassbotschafen. Konkret wollte die Fraktion Informationen über ein Gesprächsforum namens „Zukunftsdialog Soziale Netzwerke“ erhalten.
In einer zweiten Kleinen Anfragen erkundigte die AfD-Fraktion sich, ob zwischen der Bundesregierung und dem Messenger-Dienst Telegram Kontakt Zustande gekommen ist und in welcher Form in diesem Zusammenhang auch Kontakt zu Apple und Google Inc. besteht.
Die Linksfraktion wollte in einer Kleinen Anfrage Näheres über Angehörige der Sicherheitsorgane und Bundeswehr erfahren, die bei Telegram in Gruppen und Kanälen der sogenannten Querdenker-Szene aktiv sind.
(Mira Knauf)