Medienexpertinnen „Auch Meinungsfreiheit braucht Regeln“
Extremistische Aussagen und Verschwörungstheorien – solche Inhalte sind bei Telegram problemlos zugänglich. Ob man als Nutzer leicht in diese Szene geraten kann, erklären die Expertinnen Laura Braam und Meike Isenberg.
Was unterscheidet Telegram von anderen Messenger-Diensten und Plattformen? Und wer nutzt die App in Deutschland?
Telegram gibt selbst an, dass der Dienst im Monat von 550 Millionen Menschen weltweit genutzt wird. Auch in Deutschland ist die App beliebt: 23 Prozent der 14- bis 24-Jährigen, die Messengerdienste nutzen, greifen auf Telegram zurück. Das hat die Vodafone Stiftung herausgefunden.
Das Besondere an Telegram: Neben der verschlüsselten Kommunikation zwischen einzelnen Personen ist der wechselseitige Austausch in Gruppen von bis zu 200.000 Mitgliedern möglich. Zudem besteht die Möglichkeit der One-to-many-Kommunikation in Kanälen – also eine Person erreicht mit ihren Inhalten viele Menschen. Viele dieser Kanäle können frei über eine Suchfunktion oder über weitergegebene Links aufgefunden werden.
Anders als bei Social-Media-Plattformen können Inhalte bei Telegram kaum oder nur sehr schwer gemeldet werden und es wird entsprechend auch fast nichts gelöscht, was dort geschrieben wird.
In der medialen Berichterstattung wird Telegram häufig im Zusammenhang mit der Querdenkerszene, Verschwörungstheoretikern, rechtsextremen Gruppen und auch Drogenhandel erwähnt. Was ist dran an diesem Ruf?
Telegram wird als Ausweichoption genutzt. Wir haben schon Ende 2020 eine Analyse durchgeführt und dabei festgestellt, dass Telegram einen Raum für Nutzer bietet, die von anderen Plattformen wie Facebook oder Twitter verbannt wurden. Große und bekannte Unternehmen wie Facebook, Google oder Twitter reagieren auf die gestiegenen regulatorischen Anforderungen und gehen zunehmend dazu über, gewisse Inhalte und User zu sperren. Telegram nimmt diese Löschungen bisher nicht von sich aus vor und ist daher für manche Menschen besonders attraktiv.
In unserer Analyse hat sich gezeigt, dass die meisten Rechtsverstöße in den Bereichen Rechtsextremismus, Pornografie, Drogenhandel und Dokumentenhandel vorkommen. Zudem zeigt sich, dass viele Akteure dem deutschen Mediensystem und dem Staat misstrauisch bis feindselig gegenüberstehen, zumindest in den von uns überprüften Angeboten. Die Kommunikation ist emotional aufgeladen, ausgrenzend und bewegt sich teilweise am Rande der Legalität.
Sie haben in der genannten Studie verschiedene Inhalte in Gruppen und Kanälen in der Telegram-App untersucht. Wie sind Sie dabei vorgegangen? Und was ist dabei besonders aufgefallen?
Wir sind zuständig für die Aufsicht in privaten Medien und damit auch in zahlreichen digitalen Angeboten. Darunter fällt zum Beispiel, dass wir prüfen, ob der Jugendschutz im Netz eingehalten wird. Ziel der von uns beauftragten Analyse war es, ein besseres Verständnis für potenzielle Rechtsverstöße auf Telegram zu erhalten, um auch dort keine rechtsfreien Räume zuzulassen.
Dazu haben wir uns die möglichen Probleme bei Telegram angesehen und eine empirisch fundierte Bewertung vorgenommen, das heißt wir haben anhand bestimmter Merkmale die Inhalte ausgewertet. Aus den Erkenntnissen der Forscherinnen und Forscher haben wir dann Bereiche ermittelt, in denen es einer stärkeren Regulierung bedarf. Die gewonnen Erkenntnisse wurden schließlich auch in unsere Aufsichtspraxis aufgenommen.
Wir haben uns Telegram dazu systematisch angeschaut. Die Analyse ist nicht repräsentativ, sondern explorativ angelegt, das heißt die Untersuchung beschäftigt sich mit beispielshaften Fällen und die Erkenntnisse können nicht automatisch auf alle Inhalte bei Telegram übertragen werden. Es geht hier um einen Ausschnitt leicht auffindbarer Inhalte auf Telegram, die problembehaftete Kommunikation und potenzielle Rechtsverstöße beinhalten.
Landesanstalt für Medien NRW
Die Landesanstalt für Medien NRW kümmert sich um den Schutz der Menschenwürde, der Jugend und der Nutzer in den privaten Medien in Nordrhein-Westfalen. Auch auf inhaltliche Vielfalt achtet die Institution. Medienangebote werden dementsprechend beaufsichtig und reguliert.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Dark Social Media?
Der Begriff ist 2012 entstanden und bezeichnet Kommunikation, die nicht eindeutig öffentlich stattfindet. Zunächst ist er vor allem im Marketing genutzt worden. Es geht dabei nämlich um solche Interaktionen in den Sozialen Medien, die vor allem über Privatnachrichten – oder eben Gruppen beziehungsweise Kanäle – laufen. Diese Form der Kommunikation liefert aber beispielsweise für Analyse-Tools im Marketing keine verlässlichen Zahlen, die Daten sind unbekannt und liegen daher im Dunkeln (dark).
Der Begriff Dark Social wird aber zunehmend auch in einem gesellschaftlichen Kontext verwendet. Dort ist von Dark Social die Rede, wenn Social Media vor allem dazu genutzt wird, um sich unerkannt zu vernetzen, andere Menschen für bestimmte Zwecke zu mobilisieren und um unbedarft strafbare Inhalte zu posten, weil sie hier schwer zu verfolgen sind.
Kann man als Nutzer von Telegram in die Szene der Verschwörungstheoretiker und/oder Rechtsextremen geraten?
Angebote mit desinformierenden, verschwörungstheoretischen und extremistischen Inhalten sind über Weiterleitungen und Verlinkungen stark untereinander verknüpft. Nutzerinnen und Nutzer können also leicht Einblick in diese Szene erhalten. Erreichbar sind diese Angebote ohne Weiteres. Die Entscheidung, sich diesen Angeboten anzuschließen, die Inhalte zu glauben oder sogar weiterzuverbreiten, ist aber natürlich jeder Nutzerin und jedem Nutzer selbst überlassen. Hier ist Vorsicht geboten – und kritisches Hinterfragen. Es lohnt sich immer, auch noch andere Informationsquellen als Telegram zu nutzen.
Welche Möglichkeiten des Informationsaustausches bietet Telegram, die positiv zu bewerten sind im Hinblick auf die Demokratie?
Telegram bietet Freiheiten. Über Telegram können zwei Personen verschlüsselte Nachrichten senden. Das ist vor dem Hintergrund des Datenschutzes begrüßenswert.
Der Austausch ist aber auch in sehr großen Gruppen möglich, Inhalt dieser Gruppen ist oft ein bestimmtes gesellschaftliches oder politisches Thema. Bereits die Möglichkeit, sich in größeren Gruppen auszutauschen, eine Diskussion entstehen zu lassen und somit auch eine Meinungsbildung zu verschiedenen Themen zu fördern, ist grundsätzlich Teil unseres Demokratieverständnisses.
Hinzu kommt, dass in der Gruppe direkt auf eine vorangegangene Mitteilung geantwortet werden kann und Nutzende sich dabei über ihre Nutzernamen ansprechen können. Man muss die Mobilfunknummer des anderen dafür nicht kennen. Diese Möglichkeit des Informationsaustausches – wir sprechen dabei von pseudonymer Kommunikation – kann es erleichtern, zu einem Thema auch mal eine Meinung zu äußern, die vielleicht nicht den Ansichten der Gruppe entspricht. Es kann sogar sein, dass sich eine Nutzerin oder ein Nutzer gegenüber einem totalitären Regime, in dem er oder sie lebt, kritisch äußert – eine Freiheit, die sonst vielleicht nicht besteht.
Das Grundgesetz garantiert die Meinungsfreiheit. Auf diese berufen sich Internetnutzer häufig, die wegen fragwürdiger Beiträge in die Kritik geraten. Zu Recht?
Die Meinungsfreiheit ist eines unserer bedeutendsten Grundrechte. Bei allem, was wir als Medienaufsicht unternehmen, sind wir der Meinungsfreiheit verpflichtet – das haben wir uns als Landesanstalt für Medien NRW bewusst und zur Verdeutlichung auch an die Tür geschrieben. Und so meinen wir das auch.
Manchmal wird die Meinungsfreiheit aber auch absichtlich falsch verstanden: Sie beinhaltet nicht die Freiheit, im Netz zum Hass oder zur Gewalt gegen bestimmte Gruppen aufzurufen, den Krieg zu verherrlichen oder Propaganda zu verbreiten. Das sind Straftaten und die sind nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Wir sind überzeugt: Damit wir alle unsere Meinungen frei äußern können, müssen wir uns an ein paar Regeln halten. Auf diese Regeln haben wir uns als Gesellschaft geeinigt und der Gesetzgeber hat sie insbesondere im Strafgesetzbuch und im Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien verankert.
Zu den Personen
Dr. Meike Isenberg hat an der Universität Duisburg-Essen studiert und ist promovierte Politologin. Seit 2022 ist sie Teamleiterin Forschung (Gruppe Medienpolitik und -ökonomie) bei der Landesanstalt für Medien NRW.
Dr. Laura Braam hat Jura in Bonn studiert und dort promoviert. Seit 2019 ist sie Teamleiterin Aufsicht (Abteilung Recht & Aufsicht) bei der Landesanstalt für Medien NRW.
(Mira Knauf)