Bildungsexperte Frank Mußmann „Kein Bildungserfolg ohne Digitalisierung“
Durch die Pandemie sind Schulen digitaler geworden. Einige hinken der Digitalisierung trotzdem hinterher. Forscher Frank Mußmann hat das in einer Studie herausgefunden und erklärt, was Schulen brauchen, um digital fit zu werden.
Sie haben im Rahmen einer Studie untersucht, wie es um die Digitalisierung an deutschen Schulen steht. Was haben Sie herausgefunden?
Anfang 2021 haben wir 3.000 Lehrkräfte an allgemeinbildenden weiterführenden Schulen befragt. Damals war es in den Schulen besonders schwierig: Wir hatten nicht nur Lockdown und Homeschooling, sondern teilweise auch Wechselunterricht – also feste Schülergruppen, die im Wechsel in Distanz und Präsenz unterrichtet wurden. Wir haben mit unserer Untersuchung also einen Zwischenbefund auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie erstellt.
Dabei haben wir herausgefunden, dass es einen ganz enormen Digitalisierungsschub gab. Es wurden mehr digitale Medien und Technik eingesetzt. Außerdem hat sich herausgestellt, dass drei Viertel der Lehrkräfte gerne mehr digitale Medien und Inhalte im Unterricht einsetzen wollen, sie aber häufig durch fehlende Infrastruktur ausgebremst werden. Das widerlegte gängige Vorurteile, Lehrkräfte stünden der Digitalisierung nicht offen gegenüber.
Ihre Digitalisierungsstudie gliedert Schulen je nach Stand der Digitalisierung in verschiedene Typen. Welche sind das?
Wir konnten die Schulen anhand von bestimmten Merkmalen in vier Digital-Kategorien unterteilen: Zwölf Prozent der Schulen sind digitale Vorreiter, 26 Prozent sind digital orientierte Schulen. Beide Schul-Typen liegen über dem Durchschnitt, was den Fortschritt bei der Digitalisierung betrifft. Daneben gibt es etwa ein Drittel digital durchschnittliche Schulen und ebenfalls etwa ein Drittel Nachzügler.
Wir haben also in unserer Untersuchung festgestellt, dass es zwar einen Digitalisierungsschub auf der einen Seite gab, aber auch eine große Digitalisierungskluft zwischen den Schulen. Und so unterschiedlich die Schulen hierbei abschneiden, so unterschiedlich sind auch die Rahmenbedingungen, unter denen dann Unterricht stattfindet.
Konnten Sie auch herausfinden, wodurch die starken Unterschiede an den Schulen entstehen?
Es geht zum einen darum, welche Infrastruktur die Schulen umgibt: Gibt es beispielsweise WLAN für Schüler und Lehrkräfte? Zweitens hängt der Digitalisierungserfolg davon ab, ob die Lehrerinnen und Lehrer zusammen ein Konzept entwickeln oder ob sich nur vereinzelt engagierte Lehrkräfte einbringen. Drittens ist die Haltung der Schulleitung entscheidend: Gibt es digitale Schulstrategien und digitale Medienbildungskonzepte, die von der Schulleitung vorangetrieben werden?
Es spielen aber auch verwaltungspolitische Fragen auf kommunaler Ebene eine wichtige Rolle. Denn es gibt zwar den Digitalpakt, ein Programm, das den Schulen finanzielle Mittel zur Verfügung stellen soll. Aber es ist gar nicht so einfach, an diese Mittel zu gelangen. Die werden von den Schulen nicht selbst beantragt, sondern von den Kommunen – und hier hängt viel davon ab, ob Verwaltungen gut oder schlecht in Sachen Digitalisierung aufgestellt sind, ob beispielsweise Digitalstrategien gemeinsam mit Schulen und Lehrkräften entwickelt werden oder eben nicht.
Und der letzte Punkt: Wir konnten feststellen, dass Lehrkräfte, die die Digitalisierung an ihrer Schule mangels Infrastruktur nicht voranbringen können, sich auch nicht mit dem Thema auseinandersetzen und somit auch keine Kompetenzen in dem Bereich aufbauen können – ein Teufelskreis.
Laut Ihrer Studie hatte jede zweite Schule in Deutschland zum Zeitpunkt Ihrer Untersuchung kein WLAN, das die Schüler nutzen können. Was bedeutet es für Schüler, dass viele Schulen immer noch schlecht ausgestattet sind?
Zunächst einmal gehe ich davon aus, dass sich die Ausstattung inzwischen noch verbessert hat. Grundsätzlich wirken sich aber Qualität der Ausstattung und die Existenz von Medienbildungskonzepten auch auf den Bildungserfolg der Schüler aus. Wenn digitale Kompetenzen nicht in der Schule vermittelt werden, hängt es letztlich vom Zufall ab, ob die Schüler sich das Wissen außerhalb der Schule draufschaffen. Diejenigen, die weniger Digitalkompetenzen erwerben, werden später an den Hochschulen oder in der dualen Ausbildung sowie im Beruf entsprechende Nachteile spüren.
Auch ganz wichtig: Man muss sich die Frage stellen, welche Auswirkungen es für unsere Demokratie hat, wenn Kinder und Jugendliche nicht lernen, im Internet Fake News zu identifizieren. Nur 34 Prozent der Schüler an den Nachzügler-Schulen lernen, wie man überprüft, ob Online-Informationen zuverlässig sind. Da haben wir in Deutschland extremen Nachholbedarf, trotz Digitalisierungsschub.
Die Bundesregierung hat Anfang September ihre Digitalstrategie vorgelegt. Wird sie den Schulen helfen?
Ich gehe davon aus, dass die Digitalstrategie den Schulen helfen wird, besser zu werden. Es ist enorm wichtig, dass die Themen Medienkompetenz und digitale Bildung stärker verankert und entwickelt werden.
Aus meiner Sicht ist es notwendig, den Schulen mehr Kompetenzen und Spielräume bei der Entwicklung von eigenen Digitalstrategien zu geben. Es braucht Landkreise und Städte, die die digitale Schulentwicklung systematisch unterstützen. Dabei muss man berücksichtigen, dass es individuelle Lösungen für jede einzelne Schule braucht. Denn jede Schule hat eine eigene Zusammensetzung von Schülern und Lehrkräften und ein bestimmtes Einzugsgebiet. Darauf müssen die digitalen Strategien ausgerichtet werden. Beschlüsse allein auf Landesebene werden hier nicht helfen.
Und: Schulen brauchen für das Thema Digitalisierung zusätzliche Ressourcen. Dafür benötigen Lehrkräfte und Schulleitungen mehr zeitliche Spielräume. Außerdem müssen IT-Experten extra für diese Themen eingestellt werden – übrigens für die jetzigen Schüler auch ein hervorragendes Berufsbild mit Zukunft.
Die Coronapandemie hat der Digitalisierung an Schulen ordentlich Schub verliehen. Werden die Schulen dieses Tempo beibehalten?
Über die letzten zweieinhalb Jahr ist das Niveau beibehalten worden, auch wenn man sagen muss, dass der Druck nachgelassen hat, seitdem es keine Lockdowns mehr gibt. Es wird daher künftig davon abhängen, ob die Schulen mit eigenen Spielräumen zum Zuge kommen und die Digitalisierung eigenständig vorantreiben. Leider gibt es durchaus Stimmen, die – etwas zugespitzt formuliert – sagen: „Hoffentlich ist die Pandemie bald vorbei, dann können wir das mit der Digitalisierung auch sein lassen“. Und das wäre natürlich genau die falsche Botschaft.
Zur Person
Frank Mußmann ist 1958 in Bad Lauterberg im Harz geboren. Er studierte Lehramt und promovierte in Sozialwissenschaften an der Universität Göttingen. Seit 2000 ist Mußmann Leiter der Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften in Göttingen. Schwerpunkte seiner Forschung sind unter anderem empirische Studien zur Digitalisierung der Arbeitswelt und Arbeitsbelastungen von Lehrkräften.
(Mira Knauf)