Ottilie Klein (CDU/CSU) „Armut geht mit Scham einher“
In ihrem Wahlkreis wachse jedes zweite Kind in Armut auf, sagt Ottilie Klein (CDU/CSU). Warum sie findet, dass die Entlastungspakete der Bundesregierung nicht die Richtigen treffen, erklärt sie im Interview.
Der Bundestag diskutierte kürzlich einen aktuellen Bericht über Armut. Frau Klein, Sie haben mit Menschen gesprochen, die darin zitiert wurden. Was haben Ihnen die Betroffenen erzählt?
Die Menschen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir von ihren Sorgen und Ängsten berichtet. Zum Beispiel, dass sie hohe Energiekosten im Herbst und Winter befürchten. Viele haben bereits vor den Preissteigerungen nur einzelne Räume in der Wohnung beheizt, um Kosten zu sparen. Sie erzählten von der ständigen Sorge, dass Haushaltsgeräte ersetzt werden müssten. Auf Erspartes könnten sie nicht zurückgreifen, weshalb größere Anschaffungen nicht möglich seien.
Was alle gleichermaßen zum Ausdruck brachten, ist, dass mit ihrer Armut Scham, Isolation, Einsamkeit und Selbstzweifel einhergehen. Im Bundestag sprechen wir oft über Armut, Hilfen und Entlastungen, aber die wenigsten Abgeordneten wissen, was es bedeutet, selbst arm zu sein. Deshalb ist der Austausch mit Betroffenen wichtig, damit wir lebensnahe Politik für die Menschen machen können.
Die Armutsquote liegt dem Bericht zufolge derzeit bei 16,6 Prozent – ein neuer Rekord. Was genau besagt die Quote?
Die Quote beruht auf dem sogenannten relativen Armutsbegriff. Nach diesem Begriff gilt in Deutschland als arm, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens erhält. Warum „relativ“? Das liegt daran, dass die Armutsgrenze nicht fest ist, sondern veränderbar. Angenommen über Nacht haben alle plötzlich doppelt so viel Geld auf dem Konto. Dann läge die Armutsquote trotzdem weiterhin bei 16,6 Prozent.
Die Quote sagt somit in erster Linie nichts über den eigentlichen Lebensstandard der Menschen aus, sondern zeigt vielmehr die Verteilung der Haushalte mit ihren unterschiedlichen Einkommen. Somit gibt die Quote auch an, wie viele Menschen aufgrund ihres Einkommens nicht im selben Maß am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, wie es der gesellschaftliche Durchschnitt kann.
Welche Ursachen gibt es für die steigende Armutsquote?
Wie der Bericht hervorgehoben hat, sind bestimmte Gruppen besonders armutsgefährdet. Hierzu gehören Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Rentnerinnen und Rentner, aber auch Studierende. Die Preissteigerungen, die wir gerade erleben, stellen besonders für diese Gruppen eine große Belastung dar. Und sie haben das Potenzial, die Armutsquote weiter zu erhöhen. Als CDU/CSU fordern wir deshalb, dass bestehende gute Instrumente unseres Sozialstaats wie Grundsicherung im Alter, Kinderzuschlag oder Wohngeld schnell krisenfest gemacht werden.
Die positive Nachricht ist, dass dank der soliden Wirtschaftspolitik der unionsgeführten Regierung in den letzten 16 Jahren, die realen Einkommen in allen Einkommensgruppen bis zur Corona-Pandemie gestiegen sind. Das zeigt eine im Juni 2022 vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung veröffentlichte Studie. Kurzarbeitergeld und Überbrückungshilfen für Selbstständige haben die Wirtschaft während der Pandemie weitestgehend stabil gehalten. Deshalb haben wir nach wie vor eine starke gesellschaftliche Mitte. Auch das zu benennen und anzuerkennen, ist in der derzeitigen Krise wichtig.
Sie haben erwähnt, dass besonders alleinerziehende, kinderreiche Familien und Rentner von Armut betroffen sind. In Ihrer Rede kritisierten Sie, dass die Bundesregierung zu wenig für diese Gruppen tue. Was fordern Sie?
In meinem Wahlkreis in Berlin-Mitte wächst fast jedes zweite Kind in Armut auf – in Deutschland ist es jedes fünfte. Das ist eine erschreckende Statistik, die verdeutlicht, dass gerade Familien momentan besondere Unterstützung brauchen. Als CDU/CSU haben wir deshalb schon vor Monaten Sofortmaßnahmen zur Unterstützung von Alleinerziehenden gefordert. Die Ampel hat diese abgelehnt.
Dass besonders Alleinerziehende und kinderreiche Familien von Armut betroffen sind, hängt damit zusammen, dass Eltern – insbesondere Mütter – oft nicht oder nur in Teilzeit arbeiten können. Was wir deshalb brauchen, sind Rahmenbedingungen für eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Dazu gehört ein breiteres Angebot von Kinderbetreuung genauso wie flexiblere Arbeitszeitmodelle. Ein zentraler Punkt: der Kita-Ausbau und die Fachkräftegewinnung im Erziehungsbereich. Um das voranzubringen, haben wir auch hier von der Ampel-Regierung ein Sofortprogramm zur Gewinnung von Arbeits- und Fachkräften in diesem Bereich gefordert.
Von aktuellen Maßnahmen zur Entlastung, etwa bei den hohen Spritpreisen, profitieren auch Menschen, die finanziell gut aufgestellt sind. Finden Sie das richtig?
Dass die Preise steigen, merken wir alle. Doch diejenigen, die sowieso schon ein niedriges Einkommen haben, treffen die Preissteigerungen besonders stark. Die aktuellen Entlastungspakete der Bundesregierung sind gut gemeint, zielen aber nicht in die richtige Richtung und werden meiner Meinung nach teilweise völlig plan- und ziellos verteilt. So wurden besonders armutsgefährdete Gruppen wie Rentnerinnen und Rentner in den Entlastungspaketen außen vor gelassen, während Minister und Staatssekretäre von den 300 Euro Energiekostenpauschale profitieren. Das ist weder gerecht noch sozial.
Zur Person
Ottilie Klein wurde 1984 in Villingen-Schwenningen, in Baden-Württemberg geboren. Nach der Schule studierte Klein unter anderem in Bonn und Oxford, Großbritannien. Von 2017 bis 2020 war sie Büroleiterin des CDU-Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus, von 2020 bis 2021 Abteilungsdirektorin beim Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands. Seit 2021 ist sie Mitglied des Bundestages. Mehr erfahrt ihr auf ihrem Profil auf bundestag.de.
(Mira Knauf)