Jugendbegegnung 2024 „Wir müssen uns jeden Tag aktiv für antifaschistisches Engagement entscheiden“
Naomi Webster-Grundl
Auf der Jugendbegegnung des Bundestages treffen 69 junge Menschen aufeinander, um sich mit der Zeit des Nationalsozialismus zu beschäftigen. Vier von ihnen haben uns unter andere erzählt, was die Beweggründen für ihr eigenes Engagement sind und inwiefern die Erinnerungskultur sich weiterentwickeln sollte.
Die ersten Berührungspunkte mit dem Thema Nationalsozialismus und den dazugehörigen Verbrechen hatte Dorothea durch das Tagebuch der Anne Frank. Momentan absolviert sie ihr Freiwilliges Soziales Jahr in der Gedenkstätte Bergen-Belsen und sie hofft, durch die Arbeit in der historisch-politischen Bildung andere Menschen für das Thema Nationalsozialismus zu sensibilisieren und damit einen Beitrag zur Weitergabe des Demokratiebewusstseins leisten zu können.
Die Gefahr, die ich dabei sehe, ist, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Schicksale der Zeitzeugen in Vergessenheit geraten. Für das Erinnern sind vor allem die persönlichen Erzählungen der Holocaust-Überlebenden essenziell, da diese die begangenen Verbrechen besonders kraftvoll wiedergeben. Zudem kann eine fehlende Weiterentwicklung der Erinnerungskultur eine Verbreitung von Geschichtsrevisionismus zur Folge haben. Daher ist es umso wichtiger, die Lehren, die aus den Verbrechen der Nationalsozialisten gezogen werden können, in der Gesellschaft zu verankern.
Zum einen denke ich, dass der Austausch unter Gleichaltrigen sehr wichtig für die Ausbildung von Verständnis, Frieden, Toleranz, Respekt und Vielfalt ist. Zum anderen finde ich die Jugendbegegnung als Beispiel für aktive Erinnerungskultur besonders wertvoll. Man lernt, nicht zu vergessen, das Bewusstsein für die NS-Verbrechen zu stärken und auch gegenwärtig Gefahren der politischen Manipulation zu erkennen.
Hicham hat mehrere Jahre am Programm „Dialogperspektiven“ teilgenommen und gemeinsam mit anderen an Konzepten und Visionen für eine europäische Erinnerungskultur gearbeitet. Außerdem setzt er sich als Young Ambassador Against Antisemitism (Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa) mit Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen auseinander.
Das Thema Holocaust ist zwar ein integraler Bestandteil im Unterricht an deutschen Schulen – geht jedoch selten über die Vermittlung von theoretischem Wissen hinaus. Nach jahrelanger Behandlung der NS-Zeit in der Schule musste ich während meiner eigenen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus feststellen, dass Vieles in der Schule nicht greifbar genug vermittelt wird und es zusätzlich an Sichtbarkeit der Thematik innerhalb der Gesellschaft mangelt. Für eine größere Auseinandersetzung sehe ich eine zeitgemäße Erinnerungskultur, die Erinnerungen weiterhin belebt und ihnen genügend sichtbaren Raum gewährt, als Essenz.
Ich erwarte einen nachhaltigen Austausch, aus dem auch im Anschluss an die Veranstaltung noch gemeinsame Projekte hervorgehen und ein Netzwerk von engagierten Menschen entsteht. Besonders gespannt bin ich auf das abwechslungsreiche Programm, das von Besuchen in Gedenkstätten bis hin zu einer Podiumsdiskussion reicht.
Seit Elisabeth als Kind die Bücher „Flügel aus Papier“ von Marcin Szczygielski und „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ von Judith Kerr gelesen hat, beschäftigt sie sich mit den Themen Holocaust und Verfolgung durch die Nationalsozialisten. Seit ihrer Ausbildung zum Jugendguide arbeitet sie an verschiedenen Projekten mit, vor allem im KZ-Gedenkstättenverein Bisingen.
Gedenkstätten brauchen gezielte Modernisierung, um ihren Schlüsselaufgaben gerecht werden zu können. Diese Aufgaben wandeln sich im Angesicht einer postmigrantischen und diverser werdenden Gesellschaft. Orte des Gedenkens müssen einfach zugänglich sein, auch für die, die nicht zur stereotypen, deutschen Bildungselite gehören. Ich möchte diesen Prozess produktiv unterstützen, mit besonderem Augenmerk auf Barrierefreiheit und Inklusion.
Wir müssen uns jeden Tag aktiv für antifaschistisches Engagement entscheiden. Das heißt auch, Tätersprache im heutigen Sprachgebrauch kritisch zu reflektieren, relativierende Aussagen historisch zu überprüfen und anzuprangern und vor allem endlich den Dialog mit sämtlichen, damals verfolgten und heute noch marginalisierten Gruppen zu suchen. Außerdem müssen Parallelen zum aktuellen Zeitgeschehen konsequenter und mutiger benannt werden. Wir haben nicht nur die Pflicht, zu erinnern, zu reden, zu debattieren. Wir haben die Pflicht, aktiv gegen antidemokratische, neo-faschistische und menschenfeindliche Bewegungen mit allen Mitteln der Demokratie vorzugehen.
Wie engagiert ihr euch in eurer Stadt für die Erinnerungskultur? Welche Konzepte für Modernisierung habt ihr im Kopf? Was treibt euch an? Wie holt ihr Geschichte ins Bewusstsein eurer Mitmenschen? Wie verschafft ihr euch bei öffentlichen Stellen Gehör? Wie seid ihr vernetzt und organisiert? Über welche Fortschritte könnt ihr euch schon freuen? Was ist momentan die größte Baustelle in der gesamtgesellschaftlichen Debatte um Geschichte und Gegenwart?
Andreas interessierte sich schon immer sehr für Geschichte und befragte bereits mit ungefähr zehn Jahren seine Großeltern zu ihrer Kindheit während des Krieges. Nach der Schule absolvierte er seinen Zivildienst an der KZ-Gedenkstätte Mauthausen.
Ein „Nie wieder“ muss gelebt werden. „Nie wieder“ zur Shoah und all den nationalsozialistischen Gräueltaten zu sagen und gleichzeitig Minderheiten institutionell zu benachteiligen, ist eine Haltung, die sich mir nicht erschließt. Jedem Hass, jedem Krieg, jeder Ungleichheit, jeder Ungerechtigkeit gilt es immer und ohne das eine mit dem anderen zu relativieren, entgegenzutreten.
„Was hat das mit mir zu tun?“ Das ist das Motto der Gedenkstätte. Nichts will ich mehr an die Schülerinnen, die Schüler und die Erwachsenen in meinen Rundgängen weitergeben als das Gefühl: „Das hat was mit mir zu tun!“ Ich will das „Damals“ mit dem „Jetzt“ verbinden, auf dass die Isoliertheit der Ereignisse aufgebrochen wird.