Asylbewerber Sollen Gemeinden mehr selbst entscheiden können?
Grüne und Linke wollen, dass Städte und Kommunen freiwillig mehr Asylsuchende aufnehmen können. Sieben Experten hatten dazu in einer Anhörung sehr unterschiedliche Meinungen.
Jeden Monat kommen Menschen nach Deutschland, die hierzulande Asyl beantragen. Wo sollen sie hin, welche Kommune nimmt wie viele davon auf und darf eine Kommune eigenverantwortlich entscheiden, mehr Menschen aufzunehmen?
Im Mai debattierte der Bundestag erstmalig über zwei Anträge der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, die sich mit diesen Fragen beschäftigen. Die Vorlagen wurden an den Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen.
Forderung: Mehr Freiraum für Gemeinden
Anfang November befragten die Abgeordneten des Ausschusses zu beiden Anträgen Experten. Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen möchten mit ihren Anträgen erreichen, dass Städte und Kommunen in Zukunft freiwillig mehr Migranten aufnehmen können. Hintergrund ist das Bündnis „Sichere Häfen“, bei dem bis zum Zeitpunkt der Anhörung 115 Städte und Kommunen ihre Bereitschaft erklärt hatten, freiwillig mehr Asylsuchende aufzunehmen.
Bisher liegt die Verantwortung bei der Verteilung von Flüchtlingen beim Bund. Bundesländer können zwar eigenverantwortlich mehr Menschen aufnehmen, aber nur mit Genehmigung des Bundes. Die beiden Fraktionen möchten durchsetzen, dass die Genehmigung wegfällt und Städte und Kommunen den Bund nur noch informieren müssen, wenn sie mehr Asylsuchende aufnehmen. Außerdem wollen sie einen europäischen Fonds einrichten, mit dem Städte und Kommunen finanziell bei der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen europaweit unterstützt werden.
Europäische Lösung notwendig
Dr. Uda Bastians vom Deutschen Städtetag hält eine europäische Lösung für notwendig. Dazu gehörten besonders die Fragen, wohin die im Mittelmeer aus Seenot geretteten Flüchtlinge gebracht werden und wie sie anschließend für alle Staaten fair in der Europäischen Union verteilt werden sollen. Es müsse eine Lösung für die Finanzierung der Städte und Kommunen geben, die die Asylsuchenden dauerhaft untertützten und integrierten.
Verstoß gegen das Aufenthaltsrecht
Prof. Dr. Dr. h. c. Kay Hailbronner von der Universität Konstanz lehnte den Vorschlag der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ab. Aus seiner Sicht würde diese Regelung gegen das geltende Aufenthaltsrecht verstoßen. Dies besage, dass das Bundesinnenministerium darauf zu achten habe, dass bundespolitische Belange berücksichtigt werden. Könnten die Städte und Kommunen in Zukunft selbst entscheiden, könnte das nicht mehr gewährleistet werden, so Hailbronner.
Schutz ist Aufgabe des Bundes und der Länder
Auch Helene Heuser von der Universität Hamburg sah diesen Punkt kritisch. Selbst wenn Städte und Kommunen sich eigenverantwortlich entschließen würden, mehr Asylsuchende aufzunehmen, würde der Flüchtlingsschutz Aufgabe von Bund und Ländern bleiben. Deshalb könnten Gemeinden zwar freiwillig mehr Menschen aufnehmen, aber nicht weniger als der Bund ihnen zuweise. Heuser forderte ein Gesetz, dass ein eigenständiges Vorgehen der Kommunen bei der Aufnahme grundsätzlich ermögliche.
Zusammenhalt der Kommunen gefährdet
Dr. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag gab zu bedenken, dass es Probleme mit sich bringen könnte, wenn die Städte und Kommunen in Zukunft selbst Flüchtlingspolitik gestalten würden. Da die Frage über die Aufnahme von Flüchtlingen die Bevölkerung spalte, könnte dadurch das Zusammenleben in den Städten und Kommunen beeinträchtigt werden. Wenn einzelne Landkreise, Städte oder Gemeinden eigenverantwortliche Aufnahmeprogramme initiierten, könnte das den Zusammenhalt der Kommunen untereinander gefährden, meint Ritgen.
Europäischer Fonds gute Initiative
Prof. Dr. Gesine Schwan von der Humboldt-Viadrina Governance Plattform hält die Einrichtung eines europäischen Fonds für Kommunen, die Flüchtlinge aufnehmen, für eine gute Initiative. Die Kommunen sollen über diesen Fonds ihre Kosten für die Integration zurückerstattet bekommen und zusätzlich bei den Ausgaben für Infrastruktur, Bildung oder Wohnen unterstützt werden. Um mögliche Skepsis bei der Aufnahme von Flüchtlingen abzubauen, sollen Politik, Unternehmen und organisierte Zivilgesellschaft, also Vereine und Organisationen, die freiwillige Aufnahme vorbereiten.
Unterstützung durch alle politischen Lager für „Sichere Häfen“
Mike Schubert (SPD), Oberbürgermeister von Potsdam, betonte, dass das Bündnis „Sichere Häfen“ Unterstützung quer durch alle politischen Lager bekomme. Für Schubert steht die Rettung der Menschen aus Seenot im Vordergrund, anschließend komme das rechtsstaatliche Verfahren – beides hänge aber voneinander ab. Für die rechtlichen Fragen, die während der Anhörung im Ausschuss aufkamen, müssten die Bundestagsabgeordneten Lösungen finden. Das Städtebündnis „Sichere Häfen“ stuft er als „Signal nach Europa“ ein. Das Bündnis wird bundesweit von Potsdam aus koordiniert.
Hier könnt ihr euch das Video der Anhörung anschauen:
(DBT/tl)