Austauschprogramm Karneval, Umweltschutz und ein neuer Blick auf die Welt
Great! 350 junge US-Amerikaner haben gestern im Bundestag einen Blick hinter die Kulissen der hiesigen Politik geworfen. Für die Stipendiaten des Parlaments geht ihr Jahr in Deutschland bald zu Ende. Was bleibt? Wir haben einige befragt.
Englische Sprachfetzen, fröhliches Gelächter, Gedränge rund um den Plenarsaal: 350 junge US-Amerikaner mischten gestern den Parlamentsbetrieb in Berlin auf. Die Schüler und jungen Berufstätigen leben seit einem knappen Jahr in Deutschland, wohnen in Gastfamilien, besuchen eine Schule oder sammeln erste Berufserfahrungen – und interessieren sich für Politik.
Sie alle sind Teilnehmer des sogennanten Parlamentarischen Patenschafts-Programms des Bundestages und des US-Kongresses, kurz PPP genannt. Seit über 30 Jahren gibt das PPP Jugendlichen aus den USA die Chance, mit einem Stipendium ein Jahr in Deutschland zu verbringen. Ein Bundestagsabgeordneter steht ihnen als Pate zur Seite, politische Seminare gehören zum Programm.
Höhepunkt des Stipendiums: der „Berlin-Tag“ im Bundestag. Nachdem die Gäste aus den USA an einer Plenarsitzung teilgenommen und mit Abgeordneten diskutiert hatten, begrüßte sie Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble.
Wie tickt Deutschland? Was läuft hier in der Politik anders als in den USA? Dies und vieles mehr sollen die jungen US-Amerikaner durch das Programm herausfinden und zudem Netzwerke zu deutschen Jugendlichen aufbauen. Wir haben uns auf dem „Berlin-Tag“ umgehört, wie gut das gelungen ist...
„Anders als das Klischee“
Davis kommt aus South Carolina und hat sein Austauschjahr in Düsseldorf verbracht. Was ihn in Deutschland am meisten erstaunt hat: „Ich denke, die größte Überraschung für mich war der Unterschied zwischen Ost- und Westdeutschland. Ich habe die Leute im Osten immer ein wenig zurückhaltender wahrgenommen und die im Westen waren ein wenig internationaler und offener. Aber das lag vielleicht auch daran, dass ich im Rheinland gelebt habe. Insgesamt fand ich die Menschen in Deutschland aber sehr offen und es ist leicht, mit ihnen ins Gespräch zu kommen – anders als es das Klischee über Deutsche sagt.“
Sein Praktikum in einem Künstlerbüro hat David begeistert: „Für mich ist Deutschland ein Paradies für Künstler aus aller Welt, die hier zusammenkommen und gemeinsam etwas schaffen. Dieses Gefühl und die Erfahrungen aus meinem Praktikum werde ich nicht vergessen.“
Von den Deutschen Nachhaltigkeit gelernt
Nia aus South Carolina lebt in Köln – und am meisten hat sie die Karnevalsparty beeindruckt, zu der sie am 11. November eingeladen war: „Da habe ich mich gefühlt, als würde ich ganz tief in die Kultur eintauchen. Überhaupt: Ich habe in dem Jahr nicht nur Deutschland, sondern auch mich selbst kennengelernt.“
Das wichtigste Thema, das Nia mit nach Hause nimmt: „Nachhaltigkeit! Wir sollten weniger Strom und Wasser benutzen und mehr darauf achten, wieviel wir verbrauchen und was wir benutzen.“
‚Native American‘ in Saarbrücken
Jaelynn aus Montana ist ‘native American‘. Dieses Thema hat sie in ihrer Zeit in Saarbrücken mehr beschäftigt, als sie gedacht hätte: „Wenn ich mich vorgestellt habe, habe ich immer gesagt: Ich komme aus den USA und bin native American. Die Leute waren dann immer sehr interessiert und wollten mehr erfahren, über meine Kultur und Lebensweise. Aber sie haben auch alle gesagt: Du bist der erste native American, den wir kennenlernen. Das hatte ich nicht erwartet. Es hat mich sehr erstaunt, dass die Menschen hier nur weiße Amerikaner kennen und dadurch auch nur ihre Sichtweise. Die Leute fragen mich hier aber viel mehr nach meiner Kultur als in den USA. Ich bin froh und stolz, hier so offen darüber sprechen zu können und auf unvoreingenommenes Interesse zu stoßen. Dadurch bin ich selbstbewusster geworden in diesem Jahr.“
Alles nur Bretzel und Bier?
Ben kommt aus Los Angeles und bezeichnet sein Jahr in Berlin als „eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens“. Er sagt: „Amerikaner wissen recht wenig über die deutsche Kultur. Sie denken, alles ist Bretzel und Bier. Was wir hier mitnehmen, ist kulturelles Verständnis füreinander und dass Amerikaner und Deutsche sehr viel mehr gemeinsam haben als die kleinen Unterschiede, die so im Alltag durchkommen.“
Deshalb fand Ben es auch besonders toll, im Bundestag vor amerikanischen Schülern einen Vortrag über sein Austauschjahr halten zu dürfen: „Ich glaube, es ist sehr wichtig, Überzeugungen und Gedanken auszutauschen. Deshalb ist dieses Programm eine fantastische Möglichkeit.“
„In den USA sind die Menschen zurückhaltender“
Eduardo aus San Antonio in Texas sagt über seine Zeit in Seeburg: „Mein Jahr war so unglaublich. Als ich hier ankam, war ich noch eine ganz andere Person. Durch die Erfahrungen hier bin ich eine stärkere Persönlichkeit geworden. Mein Blick auf die Welt hat sich verändert.“
Auch ihn hat die Offenheit der Deutschen positiv überrascht: „In der Schule sprachen die Menschen sehr offen über ihre Meinungen und Überzeugungen. Diese Art, sehr offen über die eigenen Gedanken zu sprechen, finde ich stark. In den USA sind die Menschen zurückhaltender, weil sie nicht von ihren Freunden komisch angeschaut werden wollen.“
Ein Erkenntnismoment war für ihn schon die Ankunft in Seeburg: „Ich bin mit dem Zug angereist. Bei uns in Texas haben wir keine Züge. Das können wir ruhig mal von den Deutschen übernehmen, denn das ist sehr viel besser für die Umwelt.“
„So eine Chance kommt vielleicht nie wieder“
Paige kommt aus Florida und fand ihr Jahr in Stuttgart sehr anregend: „So eine Chance, wirklich in die Kultur eines anderen Landes einzutauchen, bekommt man im Leben vielleicht nie wieder.“ Eine Herausforderung war die Sprache für sie: „Meine Gastfamilie sprach kein Englisch. Und ich hatte keinerlei Deutschkenntnisse, als ich herkam. Eine spannende Erfahrung, eine Sprache von Null auf zu lernen. Das hat mich auf jeden Fall geduldiger gemacht.“
Für Paige waren die Einblicke in den Bundestag besonders spannend. Denn: „Ich will nach der Schule Politikwissenschaften studieren. Ich glaube fest daran, dass so ein intensiver Austausch zwischen Ländern und Kulturen wichtig ist, um gute Politik zu machen.“
Lust auf Austausch?
Das PPP funktioniert auch in die andere Richtung: Jedes Jahr starten auch rund 350 junge Deutsche in ihr Austauschjahr und reisen in die USA. Die Bewerbungsfrist für 2020/2021 endet am 13. September. Hier könnt ihr euch informieren und bewerben.
Und wenn eure Familie Lust hat, einen amerikanischen Austauschschüler aufzunehmen, könnt ihr euch hier melden.
(DBT/tl)