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Grünen-Abgeordnete Interrail-Ticket als Dank

Selina Beckmann

Die CDU diskutiert ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" für Schulabgänger. Nicht sinnvoll, findet Anna Christmann. Selina hat die Grünen-Politikerin gefragt, mit welchen Ideen deren Fraktion Freiwilligen-Jahre fördern will.

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Es macht keinen Sinn, dass Freiwillige Jobs machen, für die vorher jemand Geld bekommen hat, findet Anna Christmann von den Grünen. © Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Stefan Kaminski

Frau Christmann, die CDU diskutiert ein "verpflichtendes Gesellschaftsjahr" für Schulabgänger. Diese sollen dann selbst entscheiden, ob sie zur Bundeswehr oder in eine soziale Einrichtung gehen wollen. Eine gute Idee?

Nein. Der Vorschlag ist irreführend, weil er auf den ersten Blick charmant klingt. Natürlich ist die Vorstellung schön, dass jeder sich in die Gesellschaft einbringt. In der Realität ist ein Pflichtjahr aber nicht das, was die Träger der Freiwilligendienste, also zum Beispiel Wohlfahrtsverbände, wollen. Und es ist auch nicht das, was den Freiwilligendienst wirklich ausmacht.

Wenn ein solches Jahr nur noch zu einer lästigen Pflicht wird, dann ist es nicht mehr das Erlebnis für die Freiwilligen, das sie brauchen, um auch später noch Lust dazu zu haben, sich in der Gesellschaft zu engagieren. Aber das ist nicht das einzige Problem.

Was kritisieren Sie noch?

Es ist nicht einfach, so viele Plätze mit einer hohen Qualität zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung schafft es aktuell noch nicht einmal, all jenen Plätze bereitzustellen, die sich engagieren wollen. Am Ende wird es dann darauf hinauslaufen, dass "Freiwillige" Jobs machen, für die vorher jemand Geld bekommen hat. Und das kann nicht Sinn der Sache sein.

Welchen Sinn hat denn ein Freiwilligendienst?

Der Freiwilligendienst ist für junge Menschen eine großartige Möglichkeit, sich für andere einzusetzen, zu erfahren, dass sie selbst in der Gesellschaft wirken können – und zu lernen, dass man dafür auch etwas zurück bekommt. Auch für die Gesellschaft sind die Freiwilligendienste wertvoll. Denn dort, wo Menschen einander helfen, verstehen sie sich auch gegenseitig besser, und das stärkt insgesamt den Zusammenhalt. Ich würde mich einfach freuen, wenn es mehr Freiwillige werden.

Wie soll das gelingen?

Die Politik kann da viel tun. Wir haben einige konkrete Vorschläge gemacht und ich appelliere an die große Koalition, diese auch umzusetzen. Im Koalitionsvertrag steht, dass Union und SPD den Freiwilligendienst stärken wollen. Im Moment sollen aber die Mittel für den Bundesfreiwilligendienst nächstes Jahr um 20 Prozent gekürzt werden.

Welche Ideen finden sich in dem Antrag, den Ihre Fraktion dazu vorgelegt hat?

Zunächst fordern wir 100.000 zusätzliche Plätze für alle Freiwilligendienste. Wir möchten, dass alle Menschen, die sich gerne engagieren wollen, auch die Möglichkeit dazu bekommen. Das ist im Moment nicht der Fall. Es geht aber auch um Qualität: Wir möchten bessere Rahmenbedingungen schaffen und Freiwillige unterstützen, beispielsweise durch Zuschüsse beim Wohnen oder zu Fahrtkosten.

Zuletzt geht es uns aber auch darum, das freiwillige Engagement anzuerkennen. Nach ihrem einjährigen Dienst sollen junge Freiwillige ein Interrail-Ticket bekommen und mit einer internationalen Reiseerfahrung belohnt werden.

Mehr als 60 Prozent der Freiwilligendienstleistenden sind Abiturienten. Ist das okay?

Wir möchten zusätzlich auch andere Gruppen gewinnen. Bei den unterschiedlichen Schulabschlüssen ist allerdings auch das Alter ein Thema, weil Schulabgänger jünger sind, wenn sie kein Abitur machen. Deswegen schlagen wir vor, zu prüfen, welche besondere Unterstützung Minderjährige brauchen, um einen Freiwilligendienst machen zu können – und dann gegebenenfalls einen eigenständigen U-18-Dienst anzubieten.

Soll ich den Freiwilligendienst eher im Inland oder im Ausland absolvieren, was denken Sie?

Beides halte ich für sehr wichtig. Beim Freiwilligendienst geht es ja immer um Erfahrungsaustausch. Das kann sowohl im Inland spannend sein als auch im Ausland. Darüber sollten wir es internationalen Freiwilligen leichter ermöglichen, zu uns zu kommen. Das wäre auch für unsere Gesellschaft sehr wertvoll, denn es hat sich schon oft gezeigt, dass sich Menschen überall dort, wo sie sich gegenseitig kennenlernen, auch besser verstehen und somit Vorbehalte aufgelöst werden können.

Neben den positiven Effekten besteht aber auch die Gefahr, dass Freiwillige als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden. Wie möchten Sie das verhindern?

Der entscheidende Unterschied zu einem regulären Arbeitsplatz ist, dass man sich beim Freiwilligendienst engagiert und zeitgleich an einem Bildungsprogramm teilnimmt. Diesen Bildungsaspekt wollen wir stärken, indem wir den Trägern mehr Verantwortung geben, das Gesamtprogramm als Bildungsjahr zu gestalten und ein stimmiges Konzept zu entwerfen. Das muss ein Gleichgewicht zwischen der Arbeit, der Bildungszeit und dem Austausch der Freiwilligen bieten. Damit ist die Gefahr, dass der Freiwilligendienst zu einem Arbeitsplatzersatz wird, aus meiner Sicht nicht sehr stark gegeben.

Über Dr. Anna Christmann:

Dr. Anna Christmann wurde 1983 in Hannover geboren und engagierte sich bereits in der Schule politisch. Während ihres Studiums in Heidelberg trat sie 2003 der Partei Bündnis 90/ Die Grünen bei. Nach ihrer Promotion arbeitete sie zunächst als Politikwissenschaftlerin in Zürich, später als Referentin im baden-württembergischen Forschungsministerium. Seit 2017 ist sie Mitglied des Deutschen Bundestags für den Wahlkreis Stuttgart II.

Selina Beckmann

Mitmischen-Autorin

Selina Beckmann

studiert Publizistik und Politikwissenschaft

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