Soziales Hilfe für Obdachlose
Henrik Rampe
Immer mehr Menschen leben auf der Straße – in einem der reichsten Länder der Welt. Was tun? Drei Fraktionen haben im Bundestag Vorschläge vorgelegt. Henrik kennt einen Flaschensammler und erklärt, worum es geht.
Pfandflaschen im Morgengrauen
Der Winter steckt noch in der Stadt. Auch wenn das Thermometer am Tag zweistellige Temperaturen erreicht, bleiben die Nächte frostig kalt. Jeden Morgen kämpft sich Jürgen (Name geändert) mit dem Rad den Berg hoch, zur Essensausgabe am Steilhang der Zitadelle in Mainz. An seinem Lenker baumeln Pfandflaschen, die er bereits im Morgengrauen eingesammelt hat. Bevor ihm ehrenamtliche Helfer ein Frühstück reichen, duscht er schnell und nimmt sich ein Paar trockene Socken aus der Kleiderkammer.
An guten Tagen schafft Jürgen es, mit den Pfandflaschen genug Geld zu sammeln, um sich abends in der Notunterkunft eine eigene warme Mahlzeit zu kochen. Gerade an Wintertagen ist am Rheinufer aber nicht viel zu holen und es reicht nicht. Dann fährt er am Abend ein zweites Mal zur Essensausgabe, wo übriggebliebenes Schulessen und Backwaren vom Vortrag an Bedürftige ausgegeben werden.
Unter Brücken
Jürgen gehört zu einer Gruppe am Rande der Gesellschaft, die zahlenmäßig längst keine Randgruppe mehr ist. Wie viele Menschen in Deutschland keine Wohnung haben, wird von keiner offiziellen Statistik erfasst, es gibt nur Schätzungen. Aktuell sind bundesweit etwa 52.000 Menschen obdachlos, gibt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG-W) an. "Platte machen" nennt die Arbeitsgemeinschaft das Leben, das sich komplett auf der Straße, unter Brücken oder in leerstehenden Häusern abspielt. Die Tendenz ist klar steigend. Vor fünf Jahren gab es etwa 39.000 Betroffene.
Hinzu kommen noch Hunderttausende sogenannte Wohnungslose: Menschen, die in wechselnden Unterkünften, sei es in staatlich finanzierten Notunterkünften, bei Freunden oder Verwandten Unterschlupf finden und kein festes Mietverhältnis haben. Addiert man diese Menschen zu den übrigen Wohnungslosen hinzu, kommt die BAG-W auf insgesamt 860.000 Betroffene. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.
Debatte im Bundestag
Die Themen Wohnungsnot und Obdachlosigkeit sind aus der Sicht einiger Fraktionen der Opposition im Bundestag untrennbar miteinander verknüpft. Mitte Februar beriet das Parlament über drei Anträge der AfD, der Linken und der Grünen. Alle drei Fraktionen schlagen unterschiedliche Lösungen für das Problem Wohnungsnot vor.
Hauptstadt Berlin
Doch zunächst noch einige Hintergründe: Hilfe für Obdachlose ist nicht einheitlich geregelt. Jede Kommune hat ihre eigenen Essensausgaben, Sammelunterkünfte und Kleiderkammern. Sie werden von öffentlichen Geldern und freien oder kirchlichen Trägern finanziert.
Allerdings bietet keine Großstadt ausreichend Unterkünfte für die Menschen ohne Obdach. Die meisten Obdachlosen leben in Berlin. In den kalten Monaten stehen 1.000 zusätzliche Übernachtungsplätze zur Verfügung, hinzu kommen zwei U-Bahnhöfe, die nachts für Obdachlose geöffnet werden. Ende vergangenen Jahres öffneten erstmals auch zwei Berliner Clubs für Menschen ohne Wohnung ihre Türen – einmal wöchentlich können Obdachlose laut der Berliner Kältehilfe auch hier über Nacht unterkommen.
Scheidung, Jobverlust...
Die Gründe für die stetig steigende Zahl an Wohnungslosen sind vielfältig. Das Bild vom alkoholkranken Mann mittleren Alters ist ein unhaltbares Klischee. Wohnungs- und Obdachlosigkeit hat sich auf verschiedene gesellschaftliche Gruppen ausgeweitet. Fast ein Drittel der Wohnungslosen sind laut BAG-W Frauen, auch die Zahl der Kinder und Jugendlichen ist stetig steigend.
Scheidung, Jobverlust, Überschuldung oder Krankheiten sind individuelle Schicksalsschläge, die in einer Abwärtsspirale und schließlich im Wohnungsverlust enden können. Hinzu kommt heutzutage: Es fehlt an bezahlbarem Wohnraum.
Die Mieten, vor allem in den Großstädten, steigen extrem. Der Bestand an Sozialwohnungen geht zurück. Wohnen in Berlin ist beispielsweise heute mehr als doppelt so teuer wie noch vor zehn Jahren, so heißt es beim Immobilienportal Immowelt.
AfD: "Privilegierung" von Flüchtlingen stoppen
Die AfD-Fraktion verknüpft das Thema Wohnungslosigkeit mit Migration und fordert, die "Privilegierung" von Flüchtlingsunterkünften zu beenden. Stattdessen sollten zukünftig Flüchtlingsunterkünfte und Obdachlosenheime im Baugesetzbuch und in der Energiesparverordnunggleichgestellt sein.
Zur Begründung heißt es in dem Antrag unter anderem, während Flüchtlinge Obdach und Verpflegung auf unbestimmte Zeit erhielten, würden die Notunterkünfte für Obdachlose in den Gemeinden oft nur in der Zeit vom 1. Oktober bis zum 31. März des Folgejahres betrieben.
Linke: Neustart für sozialen Wohnungsbau
Grüne und Linke wollen dem Missstand anders begegnen. Geht es nach dem Willen der Linken, dann sollte der sogeannnte soziale Wohnungsbau einen Neustart erleben. Zur Erklärung: Das ist der staatlich geförderte Bau von Wohnungen für Bedürftige.
Konkret schlägt die Fraktion in ihrem Antrag ein öffentliches Wohnbauprogramm im Umfang von zehn Milliarden Euro vor. Darüber hinaus solle das Wohngeld (eine Sozialleistung für Bedürftige) regelmäßig und angepasst sowie Strafzahlungen für sozial Schwache im Bereich der Wohnungspolitik gestrichen werden. Ziel sei es, Betroffenen "nicht nur ein vorübergehendes Obdach zu bieten, sondern sie mit angemessenen Wohnungen zu versorgen", heißt es im Antrag.
Grüne: Ende der Obdachlosigkeit bis 2030
Langfristig bezahlbaren Wohnraum für alle schaffen, ist auch das Ziel der Grünen mit ihrem Antrag. Bis 2030 soll es keine Obdachlosigkeit mehr geben. Die Fraktion empfiehlt, dass der Bund seine Wohnraumförderung verdoppelt. Auch die Zahl Zwangsräumungen von Wohnungen wollen die Grünen reduzieren. So soll etwa Mietern zugstanden werden, Mietrückstände binnen zwei Monaten nachzahlen dürfen.
Wie geht's weiter?
Nun diskutieren die Fachleute im Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommunendie die drei Anträge. Die Erste Lesung des AfD-Antrags könnt ihr euch hier im Video anschauen. Das Video zu den Anträgen von Linken und Grünen findet ihr hier.
Henrik Rampe
Henrik Rampe
studiert Publizistik und Soziologie