Informatikerin „Politische Prozesse vereinfachen“
Über den Sommer stellen wir Menschen vor, die den Bundestag im Hintergrund am Laufen halten. Heute: Annett Lorenz-Jurczok entwickelt Software speziell für das Parlament.
DIP, elektronisches Fragewesen und andere Anwendungen
„Ich kann mein IT-Wissen einbringen und damit politische Prozesse vereinfachen.“ Das liebe sie an ihrem Beruf, erklärt Annett Lorenz-Jurczok. Nebenbei lerne sie viel über die parlamentarischen Prozesse. Als sie zum Beispiel die Software „Elektronisches Fragewesen“ entwickelte, habe sie sich erst einmal intensiv inhaltlich mit diesem parlamentarischen Vorgang beschäftigt: Was sind mündliche und schriftliche Fragen, was Kleine und Große Anfragen? Anschließend programmierte sie mit ihrem Team eine Anwendung, mit deren Hilfe man auf Knopfdruck sehen kann: Welcher Abgeordnete hat diesen Monat schon wie viele Fragen eingereicht? Wurden sie schon beantwortet? „Früher wurde das alles in Excel-Tabellen festgehalten“, erzählt Lorenz-Jurczok. „Das war natürlich sehr mühsam.“
An der Entwicklung einer anderen Software, die speziell für die Bedürfnisse des Bundestages entwickelt wurde und mit der die Ausschüsse ihre Sitzungen, von der Tagesordnung bis hin zum Beschlussprotokoll, organisieren, war sie ebenfalls beteiligt. Das Programm läuft seit 2002 und wird ständig weiterentwickelt. Auch alle Abgeordneten und Fraktionen können darauf zugreifen und erhalten so immer aktuelle Informationen.
Nicht alle Anwendungen sind nur für den internen Gebrauch. Das Dokumentations- und Informationszentrum für Parlamentsmaterialien, kurz DIP, ist zum Beispiel auch im Internet für jeden nutzbar. Dort sind alle Anträge, Gesetzentwürfe, Protokolle von Plenardebatten und öffentlichen Ausschuss-Sitzungen und weitere Dokumente hinterlegt. „Wir haben dafür eine Recherche-Oberfläche entwickelt und eine Schnittstelle zum Herunterladen von Daten zur Verfügung gestellt, die zum Beispiel viel von Universitäten genutzt wird“, erklärt Lorenz-Jurczok. So kann man per Schlagwort-Suche etwa ermitteln, wie viele Reden ein bestimmter Abgeordneter im vergangenen Jahr gehalten hat oder wie oft beispielsweise das Wort „Klima“ in Plenardebatten gefallen ist.
Weitere Berufe im Bundestag
„Ich hatte immer eine Affinität für Zahlen“
Als Kind mochte Annett Lorenz-Jurczok Logikaufgaben, Rätsel, den Mathe-Unterricht. „Ich hatte immer eine Affinität für Zahlen“, erinnert sie sich. Mit ihrer Mutter sei sie dann irgendwann in ein Berufsberatungszentrum gegangen. Lorenz-Jurczok ist in der DDR aufgewachsen. „Da gab es nicht viel im Angebot“, erzählt sie. „Die haben gesagt: Entweder du wirst Facharbeiter für Datenverarbeitung oder du wirst Facharbeiter für chemische Produktion. Ich habe meine Mutter angeguckt und gesagt: ‚Nee, Chemie will ich nicht.‘ Damit war die Sache klar.“
Sie bewarb sich im Rechenzentrum in ihrer Heimat Potsdam. „Die haben mein Zeugnis angeschaut und gefragt: ‚Wollen Sie nicht Abitur machen und studieren, mit den Noten?‘“ Warum nicht, dachte Lorenz-Jurczok, und machte parallel zur Berufsausbildung ihr Abitur. Anschließend studierte sie in Dresden. „Frauen ran an die Technik“, so habe das Motto in der DDR damals gelautet. Und tatsächlich seien an der Uni viele Studentinnen gewesen, zumindest in ihrem Studiengang Informationsverarbeitung. „Es gab noch Informationstechnik, das war die reine Männer-Domäne“, erinnert sie sich.
1985 beendete sie das Studium und fing im Patentamt der DDR an. Das wurde nach der Wiedervereinigung 1990 nach München und Jena verlegt. Dorthin wollte Lorenz-Jurczok nicht, deshalb wechselte sie zum Senat für Finanzen. 2002 machte eine Freundin sie auf eine Ausschreibung des Bundestages aufmerksam. „Das klang spannend und ich konnte alles, was die suchten. Also habe ich mich beworben.“ Mit Erfolg: 2003 fing die Informatikerin im Bundestag an, dieses Jahr feiert sie ihr 20-jähriges Jubiläum.
In den 20 Jahren hat Lorenz-Jurczok die IT auch mal verlassen. Ein paar Jahre arbeitete sie im Bereich Liegenschaften, kümmerte sich um Raumvergaben, Fahrradständer und Parkplätze. Und dann ergab sich die Möglichkeit, in die Enquete-Kommission zu wechseln, die sich damals mit dem Thema radioaktiver Abfall beschäftigte. „Das lag mir sehr am Herzen, auch mal politiknah zu arbeiten“, erzählt sie.
Die nächste Station war der Ausschuss für Digitale Agenda. „Das war das Beste aus beiden Welten“, lacht Lorenz-Jurczok. In der Zeit habe sie wichtige Erkenntnisse für ihre heutige Arbeit gewonnen: „Vorher habe ich programmiert, geschult, Abgeordnete beraten, Projekte geleitet. Jetzt war ich für ein paar Jahre auf der anderen Seite des Tischs und habe diese Anwendungen, die ich programmiert hatte, selbst genutzt. Dadurch habe ich viel besser verstehen gelernt, welche Probleme Nutzer mit diesen Anwendungen haben können.“ Als dann 2018 ein Leitungsposten für das Referat frei wurde, das IT-Projekte managt, schloss sich der Kreis.
250 ITler im Bundestag
Neben dem Referat, in dem Annett Lorenz-Jurczok jetzt arbeitet, gibt es noch weitere IT-Referate: Eins kümmert sich um die IT-Technik, verkabelt die Büros, betreut die Video-Konferenz-Technik und weitere technische Medien. Ein anderes ist für die Beschaffung der PC-Technik, für Schulungen und Support zuständig – eine interne Hotline hilft bei jedem IT-Problem. Ein weiteres Referat ist für die Rechenzentren verantwortlich und ein anders für die Anpassung gängiger Software, speziell für die Bedarfe des Bundestages zuständig. Nicht zu vergessen ist das Referat, welches die IT-Sicherheit verantwortet. „Das ist das A und O, denn wir wollen ja nicht, dass Daten aus dem Haus rausfließen bzw. das Haus angegriffen wird“, erklärt Lorenz-Jurczok.
Insgesamt arbeiten etwa 250 ITler in der Bundestagsverwaltung. Ein Bereich, der gerade enorm wächst. Leider seien die Stellen schwer zu besetzen. „Der Markt ist leergefegt.“
Ausbildung und Studium im Bundestag
Weil das so ist, kümmert der Bundestag sich selbst um Nachwuchs. Seit vielen Jahren bildet er junge Menschen zum Fachinformatiker oder zur Fachinformatikerin in der Fachrichtung Systemintegration aus. Etwa drei bis fünf Azubis sind das pro Jahrgang.
Und seit ein paar Jahren kann man im Bundestag auch ein duales Studium in der Fachrichtung Informatik absolvieren. Die Theorie lernen die Studierenden an den Hochschulen in Berlin oder Gera, den praktischen Teil ihres Studiums absolvieren sie im Bundestag. Wer sich für diesen Weg entscheidet, erhält nach dem Bachelorabschluss einen Arbeitsvertrag im Bundestag.
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Ein Herzenswunsch: Den E-Gesetzgebungsprozess umgesetzt zu sehen
Fünf Jahre hat Annett Lorenz-Jurczok noch bis zur Rente. „Da will ich schon noch ein bisschen mitmachen und Themen auf den Weg bringen“, sagt sie. Der neue Direktor beim Deutschen Bundestag bringe das Thema Digitalisierung sehr voran, was sie gut finde. „Wir haben noch viele papierlastige Bereiche im Haus“, räumt Lorenz-Jurczok ein, „und viele umständliche Prozesse, die man digital viel besser und einfacher gestalten kann.“ Mitunter liege das daran, dass das Thema Datenschutz für den Bundestag sehr wichtig sei: „Wir müssen eben immer bedenken: Was könnte passieren, wenn Daten in die falschen Hände geraten?“ Dieser Absicherungsprozess sei kompliziert und koste Zeit.
Das Digital-Team schaue viel nach links und rechts, tausche sich mit den Bundesländern und auch mit anderen europäischen Ländern aus, erzählt Annett Lorenz-Jurczok. Zum Beispiel zum Thema E-Stimmabgabe. Die namentlichen Abstimmungen sollen digitalisiert werden. Andere Länder machen das schon. „Da ist es natürlich spannend zu fragen: Wie löst ihr das? Warum habt ihr euch für diese Herangehensweise entschieden?“
Ein anderes großes Projekt, das derzeit auf ihrem Tisch liegt, ist der E-Gesetzgebungsprozess: „Von der Idee für ein neues Gesetz über Entwürfe, Debatten und Änderungsvorschläge im Ausschuss bis hin zum fertigen Gesetz soll alles digitalisiert werden.“ Dieses Projekt bis zur Einführung zu begleiten und mitzuerleben, wie es im Bundestag genutzt werde, das sei noch ein „Herzenswunsch“ für die letzten Jahre, sagt Annett Lorenz-Jurczok.
(Julia Karnahl)