Klimaschutz-Experte „Wir verlieren wertvolle Zeit“
Vergessen wir über die Corona-Krise den Klimaschutz? Jannis hat den Klimaschutz-Experten Volker Quaschning getroffen und mit ihm darüber gesprochen, was man aus der einen Krise für die andere lernen kann.
In der Corona-Pandemie war lange kaum Platz für andere Debatten. Manche finden es gar unangemessen, jetzt die Klimakrise zu thematisieren...
Selbstverständlich darf man während der Corona-Krise auch über andere Krisen reden. Man muss natürlich aufpassen, wie man das kommuniziert. Es leiden und sterben viele Leute an Covid-19. Das darf man nicht verharmlosen oder relativieren.
Wir haben hier zwei Krisen, die gleichzeitig auf uns zurollen: Die Klimakrise ist längerfristig, aber ihre Dynamik ist von ganz anderer Dimension, deswegen müssen wir darüber reden – und auch handeln. Die Corona-Krise erschwert das ziemlich, eben weil wir nicht mehr über die Klimakrise reden. Die Corona-Krise wird es weiterhin erschweren, da wir sehr viel Geld für ihre Bewältigung ausgeben, das natürlich zur Bewältigung der Klimakrise fehlen wird. Es werden auch viele EU-Klima-Maßnahmen zurückgestellt – wir verlieren dadurch wertvolle Zeit.
Warum handelt die Politik in der Corona-Krise so viel entschlossener als in der Klimakrise?
Anders als bei der Corona-Krise hat die Klimakrise sehr langfristige Auswirkungen. Wenn ich als Politiker in der Corona-Krise eine falsche Entscheidung treffe, dann wird sich das schon in ein oder zwei Monaten bemerkbar machen. Diese Krise hat direkte Auswirkungen – sicher auch auf die nächsten Wahlen. Im Klimabereich sind die Veränderungen schleichend. Selbst wenn wir wieder einen Dürresommer haben sollten, werden deswegen nicht gleich Massen an Menschen sterben. Die existenzbedrohenden Katastrophen, aufgrund derer die breite Bevölkerung bereit wäre zu handeln, werden erst in mehreren Jahren kommen.
Von der Politik erwarten wir jungen Menschen aber nicht nur Reaktion, sondern proaktives Handeln.
Das Problem sehen wir ja an vielen wichtigen Themen: am demographischen Wandel, an der Rentenfrage, der Altersarmut. Das sind ungelöste Probleme, die wie Zeitbomben ticken, aber die ignoriert man erstmal – mangels Dringlichkeit. Für die Lösung all dieser Probleme muss man große Veränderungen herbeiführen. Bei Veränderungen wird es immer auch Leute geben, die sich als Verlierer fühlen. Da ist die Angst der Politiker einfach viel zu groß, durch diejenigen abgestraft zu werden, die sich als „Verlierer“ sehen.
Die einzige Chance, das zu durchbrechen ist, dass die Dringlichkeit des Klimaschutzes sichtbar wird. Ohne den Dürresommer von 2018 hätten wir die Fridays-for-Future-Bewegung so nicht gesehen. Diese extrem heißen Monate haben der Bevölkerung durchaus die Dringlichkeit vor Augen geführt, dass der Klimawandel nicht mehr abstrakt ist, sondern tatsächlich stattfindet. Jetzt ist es wichtig, diese Dringlichkeit immer wieder in den Fokus zu rücken.
Kann man aus der Corona-Krise etwas für die Klimakrise lernen?
Ich denke schon, dass man Hoffnung daraus schöpfen kann. Wir sehen bei der Corona-Krise durchaus, dass die Politik sich eng mit Wissenschaftlern und Experten abstimmt und versucht, die optimale Lösung zu finden. Und vielleicht erkennen einige Politiker, dass man auch Wahlen gewinnen kann, indem man mutig und entschlossen handelt.
Professor Schellnhuber, ehemaliger Direktor des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, meint, dass das 1,5°-Ziel schon gar nicht mehr zu erreichen ist und wir stattdessen negative Emissionen brauchen. Wie sehen Sie das?
Ich bin in der Frage relativ skeptisch. Mit „negativen Emissionen“ verfolgt man die Idee, CO₂ wieder aus der Atmosphäre rauszuholen und so den Schaden zu reparieren. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Die einfachste Lösung ist, Bäume zu pflanzen. Flächen werden wieder aufgeforstet. Dann muss diese Fläche für ein paar Jahrhunderte als Wald bestehen bleiben. Durch das Waldwachstum kann man ein bisschen CO₂ aus der Atmosphäre holen, allerdings nur sehr begrenzt.
Ein zweiter Plan ist, dass man das CO₂ aus der Atmosphäre rausfiltert, durch technische Geräte oder durch das Pflanzenwachstum auffängt und unter der Erde einlagert.
Diese beiden Möglichkeiten funktionieren durchaus, allerdings sind sie vom Potenzial begrenzt, technisch aufwendig und sehr teuer. Im Grunde verlangen wir bei der Rückholung des CO₂, dass die junge Generation später die Kosten trägt und die verursachten Klimaschäden begleicht. Ich bin deshalb dafür, so schnell wie möglich die Energiewende durchzuziehen – das heißt: innerhalb der nächsten 15 bis 20 Jahre. Technisch und ökonomisch ist das möglich.
Was können wir jetzt tun, um darauf hinzuwirken?
Es wird aktuell sehr viel Geld in die Hand genommen, um aus der Corona-Krise wieder herauszukommen. Das müssen wir auch, um die Leute vor dem wirtschaftlichen Abstieg oder Ruin zu bewahren. Doch auch hierbei gibt es Chancen und Risiken. Man kann versuchen, das Geld gießkannenmäßig auszuschütten und den Status Quo zu zementieren. Damit würden wir die klimaschädliche Handlungsweise in Deutschland für viele weitere Jahre konservieren. Man könnte aber auch versuchen, die vielen Milliarden sinnvoll und nachhaltig einzusetzen.
Wie genau stellen Sie sich das vor?
Fakt ist, wir geben jetzt das Geld der künftigen Generation aus. Darum muss das Geld auch eine Lenkungswirkung haben. Das kann unbequeme Entscheidungen zur Folge haben. Die ein oder andere Airline kann dann nicht gerettet werden, da wir den Flugverkehr reduzieren müssen. Stattdessen steckt man das Geld zum Beispiel in den Aufbau einer klimaverträglichen Mobilität und in den Energiesektor. In der Landwirtschaft werden nur die Unternehmen gefördert, die sich klimafreundlich verhalten. Momentan ist das nicht zu erkennen, aber es gibt durchaus Diskussionen darüber. Ich hoffe jedenfalls, dass wir das Geld klimaneutral einsetzen.
Wir müssen diese Krise als Chance sehen, unsere Gesellschaft fit zu machen. Wir brauchen ein ökonomisches Gesellschaftssystem, das dahingehend krisensicher ist, dass der ökologische Anspruch nicht auf der Strecke bleibt und niemanden zurücklässt.
Ich meine, wir sollten mutig den Weg gehen und entscheiden, dass nur noch die zukunftsfähigen Technologien unterstützt werden. Die alten Technologien werden früher oder später aussterben. Daher sollte man bei jenen nicht „lebensverlängernde Maßnahmen“, sondern politische „Sterbehilfe“ einleiten, da uns dies ökonomisch zu Gute käme und langfristig mehr neue Arbeitsplätze schaffen als alte abbauen wird.
Über Volker Quaschning
Prof. Dr. Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin und Politikberater für Klimaschutzfragen. 2019 hat er „Scientist for Future“ mitbegründet, einen Zusammenschluss von über 26.800 Wissenschaftlern.
(Jannis Rimikis)